Die Wissenschaft befindet sich auf der Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus in einem Wettlauf. Mehr als 100 Impfstoffprojekte befinden sich in Arbeit, knapp ein Dutzend gilt als erfolgversprechend. Bis diese aber zugelassen werden, dauert es noch. Sehr optimistische Stimmen sprechen von einem halben Jahr, andere von Jahren.
Einigen ist dies nicht schnell genug, der Non-Profit-Organisation 1 Day Sooner, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen aus den USA, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen zum Beispiel. Sie suchen Freiwillige für sogenannte «Human Challenge Trials» oder zu Deutsch für Provokationsstudien, bei denen sich Testpersonen erst den Impfstoff spritzen lassen und sich dann Covid-19 injizieren würden.
So solle die Entwicklung eines Impfstoffs beschleunigt werden - zum Wohle der Allgemeinheit. Nach ihren Schätzungen könnte ein um bloss einen Tag früher erhältlicher Impfstoff gar über 7000 Menschen retten. Die Resonanz ist gross: Bereits 25'000 Menschen haben sich weltweit angemeldet.
«Die Grossmutter retten»
Seit kurzem hat die Seite auch einen deutschsprachigen Auftritt. Der Mathematikstudent Jan Hurt hat die Webseite «1 Tag früher.at» aufgebaut. Das deutsche Pendant wird noch umgeleitet. In der Schweiz gibt es bisher keine Adresse.
«Viele Menschen machen aus persönlichen Gründen mit», sagt Hurt auf Nachfrage von SRF, beispielsweise, um «die Grossmutter zu retten.» Beide Websites seien dabei bemüht, das Risiko von Human Change Studies, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen und die Ernsthaftigkeit der Krankheit so transparent wie möglich zu kommunizieren.
«Nach meinem derzeitigen Wissensstand ergibt es für mich Sinn, ich würde auch selbst teilnehmen», sagt Hurt und betont, er sei kein Wissenschaftler. Aber es fehle viel Forschung und öffentliche Diskussion um solche Studien. «Die will ich mit dem Projekt anstossen.»
Wenige gefährden, um viele zu schützen?
Doch nicht nur wegen finanzieller Anreize werden solche Provokationsstudien diskutiert. Auch die WHO hat kürzlich Richtlinien für Human Challenge Studies, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen im Umgang mit Covid-19 verfasst. Der Grundsatz dahinter birgt ein ethisches Dilemma: Ist es vertretbar, die Gesundheit eines Individuums zu gefährden, um viele Menschen zu schützen?
Claus Bolte von Swissmedic hält von solchen Human Challenge Studies wenig. «Bei solchen Versuchen habe ich nicht nur Bauchschmerzen, sondern auch Kopfschmerzen.» Er ist der Leiter des Bereichs «Zulassung» bei Swissmedic – und ist damit verantwortlich für alle neuen Arzneimittel und Impfstoffe in der Schweiz. «Die geltenden Standards haben wir eigentlich schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gesetzt. Gerade nach dem 2. Weltkrieg war man sich einig, wie man ethisch korrekt bei Versuchen mit Menschen vorgeht.»
Dreistufige Testphase mit Probanden
Der Weg, einen Impfstoff in der Schweiz zuzulassen, hat drei Phasen. Verlässt ein Impfstoff das Labor, wird er erst nur an einer kleinen Gruppe unter medizinischer Aufsicht getestet, wie zurzeit an sieben Personen in der Schweiz. In Phase 2 wird bei mehreren hundert Personen die richtige Dosierung gefunden. Langwierig ist im Normalfall die Phase 3 mit mehreren tausend Personen.
Doch auch in dieser Phase erfolgt eine allfällige Ansteckung mit der Krankheit im Alltag und mit Placebogruppen und nicht durch eine bewusste Ansteckung durch Injizieren.
In der Schweiz werde eine freiwillige Ansteckung kaum möglich werden, ist Bolte überzeugt. Dazu müsste es durch die Ethikkommission. «Ich glaube nicht, dass ein Ethikkomitee solch eine Studie hierzulande genehmigen würde», so Bolte.