Heute ist es zwanzig Jahre her: Am 4. August 1995 – während des Kroatien-Kriegs – begann die Operation «Sturm», auf Serbokroatisch «Oluja». Innert vier Tagen eroberten kroatische Truppen die Krajina – ein Gebiet in Kroatien, das mehrheitlich serbisch besiedelt war und unter serbischer Kontrolle stand. Bis zu 200‘000 Serben flüchteten, mehrere Tausend starben.
Die Ereignisse von damals wirken bis heute nach. Serbien beschuldigt Kroatien, auch wegen Kranjia, der ethnischen Säuberung und des Völkermords. Und sieht darin das Sinnbild ungerecht verteilter Kriegsschuld: «Das grundsätzliche Gefühl ist, dass man immer in die Rolle des Täters gestellt wird – die serbischen Opfer werden nicht gewürdigt», sagt SRF-Auslandredaktor Christoph Wüthrich. Die Operation Sturm steht für viele Serben exemplarisch hierfür.
Ganz anders das Gedenken im Nachbarland: «Die Operation steht für einen grossen Sieg im vaterländischen Krieg», so Wüthrich. «Es ist der Sieg des kroatischen Opfers über den serbischen Aggressor.» Und damit auch Teil des erweiterten Gründungsmythos des noch jungen kroatischen Staates. Für Aufarbeitung ist dabei wenig Platz: «Es geht frustrierend langsam. Man glaubt, dass der Sieg auch international anerkannt und richtig war», sagt Zarko Puhovski, in Zagreb geborener Professor für Politische Philosophie.
Propaganda statt Aufarbeitung
Mit grossem Pomp und Waffengeklirr wird nun also dem Triumph von damals gedacht. Die martialische Inszenierung findet indes quasi unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt: Unter den Staatschefs der Nato-Verbündeten wurden die Einladungen samt und sonders ausgeschlagen. Die Jubiläums-Feierlichkeiten werden damit eine «innere Angelegenheit» – und das durchaus im Interesse der kroatischen Regierung.
Ausgestattet mit einem bescheidenen Leistungsausweis im wirtschaftlich serbelnden Kroatien spielt ausgerechnet die regierende Linke von Premier Zoran Milanović die nationalistische Karte. Für Puhovski ist die Parade ein nicht «ganz cleverer Versuch» der Regierung, sich als Patrioten zu verkaufen und sich für die Parlamentswahlen von Anfang 2016 in Stellung zu bringen.
Ähnliche Motive bewogen just auch die serbische Regierung dazu, den 4. August zum nationalen Trauertag zu ernennen, wie Auslandredaktor Wüthrich ausführt: «Die Regierung, die innenpolitisch wenig vorzuweisen hat, setzt sich damit auch patriotisch in Szene.»
Doch ist das Spiel auf der Klaviatur nationalistischer Reflexe nicht ein Spiel mit dem Feuer? Puhovski relativiert: «Solche Inszenierungen sind nicht das eigentliche Problem zwischen den beiden Ländern. Folkloristische Skandale und Vorfälle sind jeweils in drei, vier Wochen wieder vergessen.»
Das Verhältnis der Länder sei bei weitem nicht so gespannt, wie es in den August-Tagen jeweils scheine. Sicherheitspolitisch und wirtschaftlich laufe die Zusammenarbeit gut.
EU-Beitritt als Katalysator für den Nationalismus?
Doch jüngst habe das Verhältnis gelitten; jedoch nicht nur aufgrund vergangenen Blutvergiessens, sondern vorab wegen der neuen politischen Realitäten im Westbalkan: dem EU-Beitritt Kroatiens vor zwei Jahren. Das Gefühl, vom «Grossen Bruder» Serbien überwacht zu werden, sei seither gewichen, so Puhovski.
«Die Folge waren auch neue radikale, anti-serbische Ressentiments – obwohl die serbische Minderheit heute nur noch fünf Prozent der Bevölkerung stellt. Lokale Nationalisten haben die Rolle des ‹kultivierten Kroaten› aufgegeben. Das strukturelle Problem zwischen den Ländern ist einfach: Kroatien ist in der EU, Serbien nicht – und wird es auch weitere zehn Jahre nicht sein.»
Auslandredaktor Wüthrich illustriert das Erstarken nationalistischer Kräfte in Kroatien: «Rund 100‘000 der damals aus der Krajina geflohenen Serben sind zurückgekehrt. Kroatische Nationalisten versuchen immer wieder, die Rechte dieser Minderheit zu beschneiden; die allgemeine Atmosphäre ist wieder intoleranter geworden, es gibt auch immer wieder tätliche Übergriffe.» Die Re-Inszenierung der «Operation Sturm» ist freilich nicht dazu angetan, diesen Tendenzen Einhalt zu gebieten.