«Geniessen Sie Ihren Besuch», sagt der Häftling aus den USA zur Begrüssung. Sein «Besuch» im Zentralgefängnis von Sofia dauert schon drei Jahre und ist alles andere als ein Genuss. Unzählige Türen, Linoleum-Gänge im Farbton Erbrochenes. Schimmel drängt aus Ritzen, Wände platzen auf. Hier leben über 500 Männer, alle verurteilt wegen schwerer Verbrechen wie Raubüberfall und Mord.
Dieses Gefängnis nehme seinen Insassen allerdings nicht bloss Freiheit, sondern auch Menschenwürde, so lautete das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Aufseher schlügen Häftlinge mit Schlagstöcken, die Gebäude seien voller Ungeziefer, die Zellen überfüllt und Eimer dienten als WC.
Wasser im Bett
Der Häftling aus den USA erzählt von der Zeit, als er in einer Zelle unter dem Dach hauste, dem undichten Dach: «Wenn es stark regnete, floss das Wasser in all unsere Sachen, die Betten rosteten, es war wirklich schlimm.» Sei es trocken, decke eine Staubschicht alles zu, weil sich die mehr als 100 Jahre alten Gebäude langsam auflösten, die eigentlich abgerissen werden müssten.
Der Mann sagt nicht, warum er hier ist; er sagt nur, er habe Pech gehabt. In einem halben Jahr wird er wohl entlassen. Bis dahin wird seine Haft erträglicher sein als früher: Der neue Direktor, sagt der Häftling, gebe sich Mühe, die Lage zu verbessern.
Gewalt soll es nicht mehr geben
In einer Zelle leben jetzt höchsten vier Männer, in jede hat man ein kleines Badezimmer eingebaut. Gefängnisdirektor Wassil Kordov versucht vieles. Er sagt, die Badezimmer sollten noch besser werden, aber leisten könne er sich nur das Material dafür, nicht die Handwerker. Deshalb müssten die Häftlinge die neuen Badezimmer selbst einbauen – andere Häftlinge würden sie dabei bewachen.
Gefängnisdirektor Kordov sagt auch, dass es keine Gewalt gebe von Aufsehern gegen Häftlinge. Es komme höchstens vor, dass man einen aggressiven Insassen mit Gewalt fixieren müsse.
Im kahlen Hof spielen ein paar Männer Fussball, rennen, rufen laut. Auch Svetlomir Neshkov. Dass das Leben im Zentralgefängnis von Sofia heute erträglicher ist, hat viel mit ihm zu tun. Er sitzt seit 2002 wegen Mordversuchs, hat später Bulgarien verklagt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Heute, sagt auch er, seien die Haftbedingungen besser: «Früher gab es hier viel Gewalt, heute ist sie praktisch verschwunden.»
Erstes neues Gefängnis seit 100 Jahren
Am anderen Ende der bulgarischen Hauptstadt empfängt Vizejustizminister Emil Detschev in seinem Büro. Er sagt, für Bulgarien seien die Fortschritte in den Gefängnissen riesig: bessere Haftbedingungen und weniger Häftlinge. Hinter den besseren Haftbedingungen stecke – er gebe das ungern zu – vor allem der Druck aus dem Ausland. In Bulgarien glaubten viele Menschen, dass schlimme Zustände zur Strafe gehörten.
Zum ersten Mal seit über 100 Jahren baut Bulgarien gerade ein neues Gefängnis, dank Geld aus Norwegen. Die Menschen aus der Umgebung der Baustelle, sagt der Vizejustizminister, seien eifersüchtig auf den Bau. «Sie sagen, die Verbrecher hätten im neuen Gefängnis ein besseres Leben als der bulgarische Normalbürger.» Auch dass Verurteilte Gewalt verdienten, sei ein schwer auszurottender Glaube.
Die Bevölkerung schrumpft
«Die Wurzeln der Gewalt in Gefängnissen liegen in kommunistischen Zeiten», sagt Detschev weiter. Der Kommunismus ist auch ein Grund, warum die Gefängnisse in Osteuropa voller sind als im Westen. Der Westen probierte den offenen Strafvollzug aus, Fussfesseln und andere Strafen ohne Gefängnis. Im Kommunismus hingegen gab es fast nur Gefängnisstrafen. Und nach der Wende hatten die Länder in Osteuropa andere Prioritäten.
Trotzdem sitzen in bulgarischen Gefängnissen neuerdings deutlich weniger Menschen als noch vor ein paar Jahren. Aus einem einfachen Grund: Viele Bulgarinnen und Bulgaren wandern aus, die Bevölkerung schrumpft.