SRF News: Sind die Preise für Wohnungen in London drei Monate nach dem Brexit gesunken?
Martin Alioth: Nein. Im Juli, gerade nach der Abstimmung, wurde ein leichter Rückgang der Häuserpreise festgestellt. Doch bereits im August zog er wieder an. Man muss sich vorstellen, mit welcher Geschwindigkeit so etwas in London vor sich geht. In den letzten drei Jahren stiegen die Häuserpreise in London durchschnittlich um 37 Prozent, landesweit nur um 16 Prozent. Das heisst, der Grossraum London ist gewissermassen eine eigene Volkswirtschaft unter Hochdruck.
Der grosse Sinkflug ist bis jetzt ausgeblieben?
Das ist so. Die Immobilienbranche geht von einem Preiswachstum im laufenden Jahr von sechs Prozent aus. Das ist weniger als in anderen Jahren, aber es ist immer noch ein Preiswachstum.
Die Baubranche sendet jedoch Warnsignale aus. Zum Beispiel gehören die Unternehmen aus dem Bausektor seit dem Brexit zu den grossen Verlierern.
Einige Indizes zeigen, dass der Bausektor als Ganzes nach dem Brexit stagniert oder geschrumpft ist. Am deutlichsten ablesen konnte man das schon in den ersten Tagen nach dem Brexit. Da flohen gewisse Anleger – man könnte auch von Spekulanten sprechen – aus Immobilienfonds, die in kommerzielle Büros in London investiert haben. Ungefähr ein halbes Dutzend dieser Fonds musste den Zugang zu Liquidität vorübergehend sperren. Kollabiert sind sie nicht, aber sie konnten nicht alle Wünsche nach Barauszahlung der Einlagen erfüllen und sie haben deshalb ein Moratorium verhängt. Das hat sich etwas entspannt, nicht zuletzt, weil diese Immobilienfonds gewisse Gebäude verkauft haben, um wieder Bargeld zu erhalten. Das war ein allererstes Signal, nicht der realen Wirtschaft, sondern eher der Erwartungen der Märkte oder der Spekulanten.
Stehen nun Geschäftshäuser in der Innenstadt Londons leer?
Wir sind in einem Niemandsland, wo niemand genau weiss, was geschehen wird.
Nein. Aber die Entscheidungen der grossen Firmen sind ja noch nicht gefallen. Wir sind in einem Niemandsland, wo niemand genau weiss, was geschehen wird. Niemand weiss, welche Entscheide Brüssel und in London fallen werden. Wir wissen aber, dass Londoner Anwaltskanzleien und zum Beispiel die irische Industrieförderungsbehörde regelrecht überschwemmt werden von Anfragen derartiger Firmen. Sie sollen ausloten, wie eine Teilauslagerung gewisser Geschäftsbereiche nach Dublin, Amsterdam, Paris oder Frankfurt aussehen würde, und was es kosten würde, wenn die Banken und Finanzhäuser in London die sogenannten Passporting Rights verlören. Das ist das Recht, mit einer britischen Lizenz und einem britischen Standort in allen 28 EU-Ländern Geschäfte zu treiben.
Ist demnach trotz Preisblase ist bei den Immobilien in London kein Preissturz in Sicht?
Nein, weil der Nachfrageüberhang gerade in unteren und mittleren Preissegmenten so gross ist. Wenn mit den grossen Banken ein paar Tausend Leute mit sehr hohen Einkommen die Stadt verlassen, verlassen müssen, dann wird sich das im Spitzensegment abzeichnen. Aber dieses Spitzensegment hat zurzeit sowieso bizarre Höhen erreicht.
Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.