Bernie Sanders ist alt. Bernie Sanders ist eigensinnig. Bernie Sanders könnte der nächste US-Präsident sein. Auch wenn die Polit-Auguren in Washington dem 75-Jährigen kaum eine Chance gegen die demokratische Spitzenkandidatin Hillary Clinton einräumen, im Gedröhn der amerikanischen Vorwahlen hebt sich der demokratische Senator mit seiner unaufgeregten Geradlinigkeit angenehm ab. Doch wer ist dieser Mann?
Sozialist – aber ein demokratischer
Zu allererst ist Bernie Sanders ein Sozialist. In der Schweiz würde er wegen seiner liberalen Einstellung zum Waffenrecht wohl zum rechten Flügel der SP zählen. In den USA gehört Sanders zum Schreckens-Inventar der Neoliberalen.
Damit das nicht in einen national-kollektiven Abwehr-Impuls mündet und ihn von der Politbühne fegt, bezeichnet sich Sanders selbst raffiniert als «Demokratischen Sozialisten». Was der 75-jährige Senator aus dem nordöstlichen Bundesstaat Vermont damit meint, wird er derzeit nicht müde, an zahllosen Vorwahl-Veranstaltungen unter die – oft auffallend jungen – Anhänger zu bringen.
Das Schicksal seiner jüdischen Familie hat ihn geprägt
Sein grosses Thema ist die Ungleichheit der Gesellschaft. Zum Beispiel seine Empörung darüber, dass laut Analysen der Federal Reserve Bank of New York 43 Prozent aller Studenten in den USA unter ihren Studien-Schulden ächzen.
Oder seine Schätzung, wonach 1 Prozent der US-Bevölkerung mehr besitzt als die restlichen 90 Prozent zusammen. Und Sanders weiss, was es bedeutet, am unteren Rand einer Hire-and-Fire-Gesellschaft zu leben.
1941 als Sohn eines jüdischen Einwanderers aus Polen in New York zur Welt gekommen, ist ihm das Leben der arbeitenden Unter- und Mittelschicht bestens bekannt.
Sein Biograph Harry Jaffe («Why Bernie Sanders Matters») beschreibt in seinem Buch, wie der ewige Streit um das wenige Geld in seiner Familie sein politisches Denken geprägt und sein politisches Handeln auf Lebenszeit sozialistisch imprägniert hat.
Kämpfer gegen die Bonzen
Was ihn indessen für seine Fans so valabel macht, sind nicht in erster Linie die markigen Worte, mit denen er die Chancen-Ungleichheit, die Umweltverschmutzung, die inadäquate Gesundheitsversorgung oder auch den globalen Handel geisselt.
Die jungen demokratischen Wähler lieben ihn für seinen augenscheinlich konsequenten Abstand zum kapitalgesteuerten Polit-Estabglishment und dessen unverblümter Selbstgerechtigkeit.
Deutlich wird das in Quotes wie diesem: «Wir erlauben es nicht, das grosse Konzerne und die Interessen der Vermögenden unsere Umwelt zerstören und nur den Reichen den Zugang zu Bildung und Gesundheit ermöglichen. Diese Forderungen sind für mich – offen gesagt – Demokratie.» Und selbst junge Frauen nehmen Sanders das Versprechen der Gleichberechtigung eher ab, als der feministischen Gallionsfigur Hillary Clinton.
Die jungen Frauen haben ein Herz für den alten Mann
Wo seine Stärken liegen, wird auch deutlich, wenn man die Diskurse seiner Anhänger und seiner Feinde auf Socialmedia verfolgt. Da ist dann die gesamte Bandbreite amerikanischer Wahl-Folklore abgebildet, von hysterischer Verdammnis bis frenetischem Applaus.
Sollte dem zweimal verheirateten Sanders unerwartet das Unmögliche gelingen, müsste sich auch das Amerika der Clintons warm anziehen. Denn selbst bei Themen, bei denen man kraft seiner Geburt (viele seiner Verwandten starben im Holocaust) eine konservative Haltung voraussetzen würde, überrascht Sanders mit abgeklärten Ideen.
...und der alte Mann hat eins für die Palästinenser
Den amtierenden israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu hält er frank und frei für eine Fehlbesetzung. In der «Times of Israel» vom 6. Februar lässt er sich mit dem Satz zitieren: «In that region, sadly on both sides, I don't think, we have the kind of leadership that we need.» (Ich glaube nicht, dass wir in dieser Region die Führung haben, die wir brauchen).
Er verlangt zudem, dass die US-Regierung mit den Palästinensern zusammenarbeitet, um deren «...seit dem Gaza-Krieg noch desaströseren Lebensbedingungen zu verbessern.» Und auch bezüglich des US-Erzfeindes Iran schlägt der Mann mit der zerzausten grauen Mähne Töne an, die manch einem republikanischen Falken die Federn umlegen dürften.
«Wir müssen uns so aggressiv wie möglich um eine Normalisierung der Beziehungen zum Iran bemühen. Die Alternative heisst Krieg», sagte Sanders anlässlich der ersten Präsidentschaftsdebatte am 4. Februar. Und die Menge tobte begeistert.
Ob der zweifache Familienvater aus Vermont dereinst als der geistige Erbfolger des ersten und einzigen sozialistischen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt in die Geschichte eingehen wird, oder als quirliger, aber letztlich machtloser Don Quijote gegen die Wall-Street, das wird sich wohl erst Ende Juli mit Bestimmtheit sagen lassen.
Quellen für diese Geschichte
Biography.com / Meet Bernie Sanders
Jewish Virtual Library / US-Senat.gov
Feelthebern.org / Bioguide.Congress.gov
Realclearpolitics.com / Washington Times
Politico Magazine / Britannica.com