These 1: Die Flüchtlinge, welche übers Mittelmeer kommen, sind meistens Wirtschaftsflüchtlinge, welche kein Recht auf Aufnahme in Europa haben.
Über die Hälfte der Personen, die übers Mittelmeer kommen, können nicht ohne grosse Gefahren für Leib und Leben in ihre Länder zurückkehren. Die wichtigsten Herkunftsländer der Ankommenden sind: Syrien mit 31 Prozent, Eritrea mit 12 Prozent, Afghanistan mit 11 Prozent, und Somalia mit 6 Prozent. Wenn man allein schon diese Zahlen zusammenzählt, dann wird klar, dass über die Hälfte der Personen aus Ländern kommen, in denen Krieg und Verfolgung herrscht. Diese Menschen sind schutzbedürftig und haben sowohl nach internationalem als auch nach Schweizer Recht einen Anspruch darauf. Auch bei den Asylsuchenden aus anderen Ländern kann es sich um Flüchtlinge handeln, aber über das Mittelmeer kommen natürlich auch Migranten, die keinen Flüchtlingsschutz benötigen.
These 2: Wirtschaftsflüchtlinge sind keine echten Flüchtlinge.
Der Begriff Wirtschaftsflüchtling vermischt verschiedene Konzepte. Wichtig ist: Personen, die allein ihre wirtschaftliche Situation verbessern wollen und denen zuhause keine schwerwiegenden Gefahren an Leib und Leben drohen, sind keine Flüchtlinge. Sie benötigen kein Asyl. Von ihnen kann in der Regel verlangt werden, dass sie nach Hause zurückkehren.
These 3: Die Flüchtlinge wissen nicht, dass sie bei der Reise übers Mittelmeer ihr Leben aufs Spiel setzten. Weil die Schlepper ihnen das Paradies in Europa versprechen, kommen sie.
Ich habe mit Personen gesprochen, die genau gewusst haben, welchen Risiken sie sich ausgesetzt hatten. Dann gab es aber auch jene – und das sind die meisten –, die zwar wussten, dass es gefährlich ist, aber nicht genau, wie gefährlich. Viele wissen beispielsweise wenig über die brutalen Praktiken der Schmuggler. Es ist daher wichtig, die Menschen darüber zu informieren, welchen Gefahren sie sich aussetzen. Solche Kampagnen sind allerdings nur wirksam, wenn die Menschen eine sinnvolle Alternative zur gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer haben, was bei Flüchtlingen oftmals nicht der Fall ist. Da ist die Fahrt über das Mittelmeer das kleinere Risiko, wenn es für sie keine legalen Möglichkeiten gibt zu kommen.
These 4: Die ankommenden Flüchtlinge auf den Booten, die man auf Bildern sieht, sehen gut genährt, gut gekleidet aus. Sie lachen sogar. So schlimm kann es ihnen nicht gehen.
Dieser Eindruck ist falsch. Die Menschen lachen teilweise auf den Bildern, weil sie erleichtert sind, dass sie es geschafft, dass sie überlebt haben. Ich war in Griechenland, in der Türkei, in Italien. Die Menschen kommen dehydriert, in salzwasserdurchtränkten Kleidern an und viele brauchen medizinische Notversorgung. In Erstaufnahmeeinrichtungen an der Küste gibt es grosse Kleiderkammern mit gespendeten Kleidern, um die Menschen erst einmal mit dem Notwendigsten zu versorgen. Häufig kann man gar nicht richtig mit ihnen reden. Sie starren vor sich hin, sind in einem schockartigen Zustand.
These 5: Laut UNHCR kommen viele Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Die Flüchtlinge auf den Bildern aber sind junge, schwarze Männer, ausserdem keine Frauen und keine Kinder.
Die Zusammensetzung der Gruppen ist je nach Route anders. Momentan haben wir bei den Ankommenden in Italien und Malta wenig Syrer, dafür mehr Eritreer, mehr Somalier. Zur gleichen Zeit kommen in Griechenland sehr viele Syrer und sehr wenig Eritreer und Somalier an. Es kommt also drauf an, wo die Fotografen die Bilder schiessen.
Es ist in der Tat so, dass es auf den Booten weniger Frauen und Kinder gibt als Männer. Die Familien vermeiden – sofern dies möglich ist – Frauen, Kinder und vulnerable Personen den Risiken der Reise auszusetzen. Die Familie bleibt dann einem Ort zurück, wo sie nicht dauerhaft bleiben kann, aber immerhin so lange, bis sie nachgeholt werden kann. Es ist ein grosses Problem, dass die meisten Menschen nicht legal nach Europa kommen können. Das bedeutet, dass es dann die Schwächsten oft nicht schaffen.
These 6: Europa fördert das Schlepperwesen, indem man die Flüchtlinge bis vor der Küste Libyens rettet. Die Schlepper rechnen mit der Rettung und setzten die Menschen in seeuntaugliche Boote.
Es stimmt, dass die Schmuggler ihre Praktiken sehr schnell den Strategien der Staaten anpassen. Wir müssen deshalb die Schlepper und ihre brutalen Praktiken wirksam bekämpfen. Zur Seenotrettung gibt es aber keine Alternative. Wenn jemand vor Ihren Augen ertrinkt, dann sagen Sie nicht, es ist politisch besser, diese Person ertrinken zu lassen, sondern sie ziehen den Mensch aus dem Wasser.
These 7: Man kommt nicht ohne Auswahl und Absagen aus. Machen wir das nicht, steht in letzter Konsequenz der innere Frieden in Europa auf dem Spiel.
Es ist richtig, dass die Zahl von Asylsuchenden in Europa stark zugenommen hat. Aber Europa wird nicht von Flüchtlingsströmen überflutet. Es gibt keinen Grund zur Panikmache. Wir haben 60 Millionen Vertriebene weltweit. Angesichts dessen ist die Anzahl der Leute, die nach Europa und in die Schweiz kommen, relativ gering. In der Schweiz sind weniger als ein Prozent der Bewohner Flüchtlinge. Zum Vergleich: Im Libanon ist eine von vier Personen ein Flüchtling. Die meisten Flüchtlinge bleiben in ihrem Herkunftsland oder in den Ländern der näheren Region. Wir wünschen uns international mehr Solidarität unter den Ankunftsländern, um die grosse Zahl an Flüchtlingen bewältigen zu können.
These 8: Man muss in Europa mehr abschrecken. Man muss niedrigere Hilfssätze anbieten, eingeschränkte medizinische Hilfe. Die Grenzen viel strenger kontrollieren.
Gemäss unserer Erfahrung nützt Abschreckung nichts. Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind, haben keine Alternative zur Flucht, notfalls auf immer gefährlicheren Wegen. Migranten können sich diese Frage schon eher stellen. Die effizienteste Möglichkeit die Zahl der Migranten zu minimieren, ist, das Asylverfahren schnell und effizient durchzuziehen, damit klar wird, wer das Recht zum Bleiben hat und wer wieder gehen muss. Wenn der Aufenthalt zu kurz ist, lohnen sich die hohen Investitionen in die Reise nicht.
These 9: Man muss das Übel an der Wurzel packen, die Kriege und das Elend in den Herkunftsländern bekämpfen.
Das meinen wir auch. Wir appellieren immer wieder an die Staatengemeinschaft stärker in die Verhinderung und Beendigung von Konflikten zu investieren. Dies wäre die beste Lösung. Oft kann das jedoch nur durch langfristige Massnahmen erreicht werden. Solange Menschen vor Krieg und Verfolgung fliehen, müssen wir ihnen Schutz gewähren.
Das Gespräch führte Christa Gall.