Für die britische Regierung unter Premierministerin Theresa May ist der Fall klar: Die Briten stimmten am 23. Juni 2016 mit einer Mehrheit von 51,9 Prozent für den Austritt aus der Europäischen Union.
Sie taten dies aufgrund eines Referendumsgesetzes, das von beiden Häusern des Parlamentes verabschiedet worden war und damit im Auftrag der Volksvertreter. Laut der Regierung ist damit die formelle Austrittserklärung gemäss § 50 des EU-Grundlagenvertrags von Lissabon ausschliesslich die Aufgabe der Regierung.
Die Zustimmung des Parlaments sei nicht nötig und die Einmischung des Unterhauses könnte sogar zur Sabotage des Volkswillens führen – denn bekanntlich hatten rund drei Viertel der Abgeordneten im Unterhaus in der EU bleiben wollen.
Unverbrüchliche Rechte
Stimmt so nicht – sagen eine Finanzunternehmerin, ein Coiffeur mit portugiesischem Namen und andere Kläger vor dem High Court in London. Ihr wichtigstes Argument ist bestechend: Die Austrittserklärung sei unwiderruflich. Die Regierung könne darum nicht Rechte widerrufen, die das Parlament gewährt habe.
Mit dem 1972 vorbereiteten Beitritt des Vereinigten Königreichs zu den damaligen Europäischen Gemeinschaften habe das Parlament den britischen Untertanen (Bürger gibt es streng genommen nicht) Rechte gewährt, die aus dieser Mitgliedschaft flössen. Diese könnten nur vom Parlament entzogen werden.
In der Tat sieht die britische Verfassung – jenes über Jahrhunderte gewachsene Konvolut aus Gesetzen, Gerichtsurteilen und Konventionen – keine Volksabstimmungen vor. Sie sind selten und haben rein konsultativen Charakter.
Der Souverän Grossbritanniens ist «The Crown in Parliament», also das gewählte Unterhaus und das weitgehend ernannte Oberhaus, mit Zustimmung der Queen.
Mitsprache gefordert
Selbst die erbittertsten Gegner des «Brexit» planen allerdings nicht, den Austritt im Parlament rückgängig zu machen. Sie hoffen auf erweiterte Mitbestimmungsrechte aufgrund des Gerichtsurteils.
Die oppositionelle Labour-Partei will vor der Einwilligung, die Austrittserklärung nach Brüssel zu senden, die Grundzüge der britischen Verhandlungsposition erfahren. Zusammen mit Abgeordneten der Liberaldemokraten, der schottischen Nationalisten, der einzigen grünen Abgeordneten und sogar einigen Konservativen wollen diese Kräfte die geltende Prioritätenordnung umdrehen: Anstatt zuerst die Freizügigkeit zu beschneiden, soll der fortdauernde Zugang zum Binnenmarkt zum obersten Gebot werden.
Es steht also viel auf dem Spiel. Das Urteil des High Court wird für die kommende Woche erwartet. Der Supreme Court hat bereits einen Termin im Dezember freigehalten – für eine mögliche Appellation.