International - Flüchtlingskrise: Darüber berät die EU
Bereits vor dem heutigen EU-Gipfel in Brüssel liegen 10 Vorschläge der Kommission auf dem Tisch. Einfach umsetzbar sind sie aber nicht, wie unser Korrespondent Philipp Zahn auf Sizilien erklärt.
Am Nachmittag beraten die EU-Staats- und Regierungschefs die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer an einem Sondergipfel in Brüssel. Europarats-Präsident Donald Tusk, der den Gipfel initiiert hat, hat die Mitgliedstaaten aufgefordert, nationale Interessen zurückzustellen.
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Italien rechnet bis Jahresende mit der Ankunft von rund 200'000 Bootsflüchtlingen. Nach einer neuen Schätzung des Innenministeriums in Rom werden in den kommenden fünf Monaten pro Woche 5000 Menschen erwartet, die von den Küsten Nordafrikas aus die Einreise in Italien erzwingen wollen.
Knackpunkt: Rücksendung und Verteilung
Erste Aufgabe sei, Schlepperbanden zu bekämpfen und zu verhindern, dass die Menschen überhaupt an Bord von Schiffen gehen. Zweitens müsse die EU ihre Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer verstärken. Zudem sei eine engere Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern in Afrika nötig. Die grösste Herausforderung sei aber, dass sich die Mitgliedsländer auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Rücksendung und der Verteilung von Flüchtlingen einigten.
Zur Diskussion am Gipfel liegt ein 10-Punkte-Plan der EU-Kommission vor. Die Staats- und Regierungschefs können die Punkte ändern, ganz streichen oder darüber hinausgehen. Der Plan im Überblick.
Der 10-Punkte-Plan der EU-Kommission
1. Mehr Seenothilfe
Die Grenzüberwachungsprojekte «Triton» und «Poseidon» sollen mehr Geld bekommen. Zudem könnte das Gebiet, auf dem deren Schiffe unterwegs sind, vergrössert werden.
2. Vernichtung von Booten
Schiffe von Schleusern sollen identifiziert und zerstört werden, bevor sie zum Transport von Flüchtlingen genutzt werden können. Die EU-Kommission erhofft sich dabei ähnliche Erfolge wie im Kampf gegen Piraten vor Somalia.
3. Zusammenarbeit von EU-Ermittlern
Die Polizeibehörde Europol, die Grenzschutzagentur Frontex und die Justizbehörde Eurojust sollen bei ihren Ermittlungen gegen Schleuser stärker zusammenarbeiten.
4. Bearbeitung von Asylanträgen
Das Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen (Easo) soll nach dem Willen der Kommission Teams in Italien und Griechenland aufstellen, um Asylanträge schnell zu bearbeiten.
5. Fingerabdrücke
Die EU-Staaten sollen sicherstellen, dass alle Flüchtlinge mit Fingerabdrücken erfasst werden.
6. Notfallsituationen
Es sollen Möglichkeiten ausgelotet werden, ob Flüchtlinge im Notfall über einen Sondermechanismus verteilt werden können.
7. Pilotprojekt
Angedacht ist ein EU-weites, freiwilliges Pilotprojekt zur Verteilung von Flüchtlingen. In einem ersten Schritt könnte es 5000 Plätze für schutzbedürftige Personen geben.
8. Schnelle Abschiebung
Ein neues Programm unter der Koordination von Frontex soll dafür sorgen, dass illegale Einwanderer zügig wieder in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.
9. Libyen und nordafrikanische Nachbarn
Die Kommission schlägt eine Zusammenarbeit mit Ländern rund um Libyen vor. Der Staat gilt als wichtigstes Transitland für Bootsflüchtlinge.
10. Verbindungsbeamte
In wichtigen Drittstaaten könnten sogenannte Verbindungsbeamte für Immigrationsfragen eingesetzt werden, die zum Beispiel Informationen zu Flüchtlingsbewegungen sammeln.
02:10
Video
Einschätzungen von SRF-Korrespondent Philipp Zahn
Aus Tagesschau vom 23.04.2015.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 10 Sekunden.
Ob Schlepperboote tatsächlich zerstört werden können, bevor sie ins Meer stechen, wird bezweifelt. «Die Ermittlungsbehörden in Sizilien sind da sehr skeptisch», berichtet SRF-Korrespondent Philipp Zahn aus Sizilien.
«Die Flüchtlinge hinter mir kamen auch auf zwei Schlauchbooten. Diese Boote werden in Libyen in Garagen oder Häusern direkt am Strand versteckt und erst kurz vor der Abreise an den Strand gezogen, sodass es wirklich sehr schwierig sein wird für europäische Eingreiftruppen oder Drohnen, Schlauchboote an den libyschen Stränden zu erkennen.»
Italien will neuen Verteilschlüssel
Zumindest hätte Italien mit dem Sondergipfel nun nicht mehr den Eindruck, alleine gelassen zu werden mit der Tragödie. Doch was das im Einzelnen heisse, könne man sich auch hier noch nicht so ganz vorstellen. «Allein beispielsweise mit der Verdoppelung des Budgets von ‹Triton› wird die Sicherheit auf See noch nicht gewährleistet.»
Italien hofft, dass Europa auch über einen neuen Verteilschüssel spricht, also wie die Flüchtlinge auf ganz Europa verteilt werden. «Aber da ist man realistisch», sagt Zahn, «soweit wird es heute nicht kommen.»
UNO und Europarat kritisieren EU
Die Vereinten Nationen kritisierten den 10-Punkte-Plan der EU als unzureichend. Die Reaktion der EU müsse über diesen «minimalistischen» Plan hinausgehen, hiess es in einer gemeinsamen Erklärung der UNO-Hochkommissariate für Flüchtlinge und für Menschenrechte in Genf. Zu den Unterzeichnern gehörte auch die Internationale Organisation für Migration (IOM).
Anstatt nur die Ankunft von Flüchtlingen zu regulieren, müsse die EU enger mit Herkunftsländern zusammenarbeiten, um gegen die Ursachen für lebensgefährliche Mittelmeerüberfahrten anzugehen, hiess es.
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Der Europarat wacht über die Einhaltung der Grundrechte und ist nicht mit der EU zu verwechseln. Die Entschliessungen der Versammlung, der auch die Schweiz angehört, sind Empfehlungen und nicht verbindlich.
Auch die parlamentarische Versammlung des Europarates hält den 10-Punkte-Plan der EU für völlig unzureichend. Die kurzfristigen Massnahmen reichten nicht, hiess es in einer Entschliessung, welche die Abgeordneten aus den 47 Europaratsländern in Strassburg verabschiedeten. Die EU-Länder sollten «vordringlich» alternative Migrationswege stärken und die Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen untereinander aufteilen.
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