SRF News: Zur Visegrad-Gruppe gehören Ungarn, Polen, Slowenien und Tschechien. Zu dem Treffen in Prag sind aber auch Mazedonien und Bulgarien eingeladen. Welche Rolle spielen sie?
Urs Bruderer: Das sind natürlich zwei wichtige Länder für Asylsuchende auf der Balkanroute. Bulgarien bietet die einzige Möglichkeit, von der Türkei in ein EU-Land zu gelangen. Mazedonien ist die erste Station nach Griechenland auf dem Landweg nach Westeuropa. In diesen Ländern kann man also das Problem direkt angehen, etwa mit dem Bau von Zäunen. Das ist die Logik der Visegrad-Länder: «Wir wollen etwas tun, etwas bauen und nicht lange in Brüssel reden.»
Mazedonien und Bulgarien sollen also die Grenzen dicht machen. Werden sie das tun?
Bulgarien hat schon einen Zaun und will ihn verlängern. Mazedonien ist wohl auch bereit dazu. Denn das Land spürt, dass Europa immer zurückhaltender wird gegenüber Asylsuchenden. Das heisst, wer Flüchtlinge aufnimmt, der muss auch damit rechnen, sie nicht mehr weiterziehen lassen zu können. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass auch Mazedonien nicht abgeneigt ist, wenn man ihm beim Bau eines Zauns helfen möchte.
Der Widerstand gegen Zäune ist stark zurückgegangen, zumal an EU-Aussengrenzen.
Was wären die Konsequenzen, wenn Mazedonien und Bulgarien tatsächlich weitere Zäune bauen würden?
Dann stellt sich erstmal die Frage, ob diese Zäune wirklich funktionieren, also ob sie die Leute wirklich abhalten können. Ich vermute, Zäune funktionieren wie in Ungarn dann, wenn ein Land sich abschottet und Asylsuchende auf andere Routen ausweichen können. Ob Zäune auch dann funktionieren, wenn es keine Alternative mehr gibt, ist fraglich. Wenn es aber funktionieren sollte, dann wird Griechenland ein grosses Problem haben. Denn Griechenland kann seine Inseln nicht schützen – im Meer kann man keine Zäune bauen. Die Flüchtlinge, die weiterhin kommen, sässen dann alle in Griechenland fest. Darum schaut Athen heute mit grosser Skepsis nach Prag.
Gibt es auch Risiken für die Länder in Mittel- und Osteuropa, wenn sie sich derart einzäunen ?
Der Widerstand gegen Zäune ist stark zurückgegangen, zumal an EU-Aussengrenzen. Griechenland aber gewissermassen fallen zu lassen, scheint mir in der EU politisch nach wie vor nicht opportun. Vor allem werden die vier Visegrad-Staaten sich weiterhin mit der Idee auseinandersetzen müssen, dass in der EU Asylsuchende verteilt werden sollen. Das wurde beschlossen und stösst bei ihnen weiterhin auf grossen Widerstand.
Die Zäune in Bulgarien und Mazedonien können innerhalb der EU nicht wirklich angefochten werden.
Nehmen wir an, die Länder der Visegrad-Gruppe ziehen ihre Zäune hoch und weigern sich, Flüchtlinge aufzunehmen. Wie wird Brüssel reagieren?
Ich denke, in der EU wird Abschottung derzeit zwar akzeptiert, aber weiterhin nur im Paket mit der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen. Und auch nur dann, wenn es eine Lösung ist, die Griechenland mit den Flüchtlingen nicht allein lässt. Es ist bekannt geworden, dass insbesondere Kanzlerin Merkel am Gipfel in Brüssel Ende Woche für ihr Konzept werben will. Dieses sieht vor, dass man Flüchtlinge direkt aus der Türkei aufnimmt und im Gegenzug dazu von der Türkei erwarten dürfte, dass sie gegen Bootsflüchtlinge vorgeht und dass sie verhindert, dass weiterhin viele Leute den gefährlichen Weg übers Meer von der Türkei nach Griechenland begehen.
Ohne Unterstützung für diesen Plan vermute ich, werden es die vier Visegrad-Staaten sehr schwer haben mit ihrer harten Abschottungshaltung. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Zäune in Bulgarien und Mazedonien nicht wirklich angefochten werden können innerhalb der EU. Mazedonien ist nicht EU-Mitglied und Bulgarien schützt eine EU-Aussengrenze. Man kann ihnen also nicht verbieten, diese Zäune zu bauen.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.