SRF: Marc Engelhardt, denken Sie, dass Geld für Boko Haram wichtiger ist als der Glaube?
Marc Engelhardt: Es kommt darauf an, wen man als Beispiel nimmt. Es gibt natürlich unter den Fusssoldaten, die für Boko Haram, al Shabab und die anderen Organisationen kämpfen, viele, die es aus Glaubensgründen tun. Sie glauben, dass sie den Kalifats-Staat miterrichten können, in dem der wahre Islam gelebt wird. Es sind Menschen, die bereit sind, bis zum Äussersten zu gehen und andere Menschen umzubringen. Aber an der Spitze dieser Organisation sitzen Leute, die eine ganz andere Motivationen haben. Die islamistischen Terrorgruppen machen Kasse. Wenn man sieht, wie das Ganze funktioniert, erkennt man, dass das Erzielen von Profit, doch im Mittelpunkt steht und deutlich wichtiger ist das islamistische Gedankengut.
Was bedeutet das für den Umgang, für die Bekämpfung dieser Organisation?
Dass sie eben etwas anderes als bewaffnete islamistische Organisationen sind. Nehmen wir das Beispiel Mafia. Es ist noch niemand auf den Gedanken gekommen, dass man Neapel aus der Luft bombardieren sollte, um die Mafia auszuschalten. Genauso wenig wird es helfen, wenn man Bomben über Nordnigeria abwirft, wie es die nigerianische Armee seit Wochen versucht. Man wird die Geldflüsse aufdecken müssen. Es fliesst viel Geld dieser Gruppen ins Ausland, wird angelegt und teilweise umgesetzt. Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität deckt man ja auch die Geldflüsse auf. Das ist das Entscheidende, um diesen Gruppen das Wasser abzugraben.
Inwiefern ist Europa angesprochen?
London ist ganz offensichtlich einer der Bankenplätze, über den viel Geld läuft. Und zwar nicht nur über diese illegalen Transfers – durch Boten oder bestimmte Finanzierungsmechanismen – dieses Geld gelangt auch zu ganz offiziellen Banken. Es muss gewaschen und wieder in den Geld-Kreislauf gebracht werden. Das ist bekannt, es ist ein Thema, mit dem sich die Geheimdienste und Kriminaliätsbekämpfer beschäftigen. Es ist allerdings so, dass noch keine Konten geschlossen wurden. Es gibt zahlreiche Hintermänner, die man verdächtigt. Doch es fehlt das Wissen und das Engagement, um diese Leute richtig belangen zu können.
Ist es falsch, vom islamistischen Terror in Afrika zu sprechen?
Man kann von islamistischem Terror sprechen, weil der Islam hier von diesen kriminellen Gruppen genutzt wird, und weil er kulturell ein guter Zugang ist zu den wirtschaftlichen Entwicklungen in ihren Ländern ausnutzt. Hier wird eine Religion ausgenutzt wie früher schon Volksgruppen ausgenutzt wurden. In der Bekämpfung dieser Terrormilizen muss man sich bewusst sein: Es geht um kriminelle Gruppen mit finanziellen Anreizen, und die haben finanzielle Interessen.