SRF News: Mossul ist ja die letzte grosse Bastion des sogenannten «Islamischen Staats» im Irak. Was wird dessen Strategie sein bei der Verteidigung der Stadt?
Yassin Musharbash: Zunächst bin ich mir gar nicht mal so sicher, ob sie alles tun werden, um die Stadt zu verteidigen. Sie werden es den Angreifern auf jeden Fall so schwer wie möglich machen, die Stadt einzunehmen. Sie werden versuchen, sie zu zwingen, einen hohen Blutzoll zu bezahlen. Mein Gefühl ist aber, dass der IS seinerseits nicht bereit ist, eine signifikante Anzahl seiner Kämpfer in dieser Schlacht zu opfern.
Ich habe mit mehreren IS-Anhängern, die Kontakte in den Irak haben, sprechen können. Sie sagen, ein paar 100 werden sicher in der Schlacht um Mossul ums Leben kommen. Und wir werden möglicherweise auch erleben, wie der IS dort Scharfschützen und Sprengfallen zurücklässt, aber nicht den grössten Teil seiner Kämpfer, die sich bis vor kurzem noch in der Stadt befunden haben.
Wieso will der IS in Mossul nicht aufs Ganze gehen?
Weil er weiss, dass er die Schlacht nicht gewinnen kann. Mossul wird früher oder später fallen. Das ist eine Frage der Zeit. Der IS ist mehr am Überleben interessiert, als daran, diese Stadt zu halten. Er plant ganz offensichtlich, einen Grossteil seiner Kämpfer entweder in die noch vom IS gehaltenen Gebiete in Syrien zu bringen, oder sie im Irak in der Nähe kleinerer Städte, in denen der IS auf Sympathisanten hoffen kann, unterzubringen. Von dort aus wird er zusehen, wie der irakische Staat möglicherweise dabei scheitern wird, Mossul zu stabilisieren und unter seine Kontrolle zu bringen.
Die neue Linie des IS scheint mir recht eindeutig: ‹Wenn wir Mossul verlieren, ist es zwar nicht gut, aber das ist ganz sicher nicht unser Ende. Wir haben schon schlimmere Zeiten durchgestanden und werden wiederkommen.›
Wird der IS auch versuchen, neue Kämpfer zu rekrutieren?
Das Rekrutieren ist für den IS schwierig geworden. Im Ausland sind die Kontrollen durch Polizei und Sicherheitsbehörden mittlerweile so sehr angestiegen, dass man nur noch schwer dagegen ankommt. Es gibt auch einen gewissen Rückgang an Enthusiasmus. Die westlichen Kämpfer, die sich dem IS angeschlossen hatten, wollten Teil des Aufbaus dieses Staates sein, den der IS ausgerufen hat. Sie sind nicht unbedingt so erpicht darauf, dort jetzt gleich nach der Einreise in der ersten Schlacht ums Leben zu kommen.
Die arabischen Sympathisanten, die möglicherweise zu einer Teilnahme an so einer Schlacht bereit wären, kommen auch nicht mehr so leicht über die Grenze. Ich lebe in Jordanien. Ich traf hier IS-Anhänger, die sagen, ‹wir kommen gar nicht rüber, die Grenzen sind dicht›. Der IS verfügt noch über etwa 20'000 Kämpfer. Und selbst wenn er einen erklecklichen Anteil davon verlieren sollte, sind das aus seiner Sicht immer noch genügend Kämpfer, um als Organisation bestehen zu bleiben und eventuell ein Comeback im Irak zu wagen.
Kämpfer hat er also noch genug, aber immer weniger Territorium. Ist es nicht genauso wichtig für ein «Kalifat», Grund und Boden zu haben?
Ja und nein. Ja insofern, als dass der IS selbst nach der Einnahme Mossuls vor zwei Jahren argumentiert hat: ‹Jetzt, da wir ein so grosses Gebiet beherrschen, müssen wir quasi ein Kalifat ausrufen, das ist eine theologische Verpflichtung.› Der Verlust dieses Gebietes und insbesondere Mossuls ist also das Symbol einer krachenden Niederlage.
Andererseits darf man nicht vernachlässigen, dass Dschihadisten in anderen Zeiträumen denken als wir. Es ist ihnen relativ egal, wenn sie eine Stadt wie Mossul nach zwei Jahren wieder verlieren. Sie gehen davon aus, dass sie sie in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren wieder zurückgewinnen. Und da sie aus theologisch-ideologischer Sicht davon ausgehen, dass ihnen der Sieg sowieso versprochen ist, hängt für sie nie allzu viel von einer Schlacht oder von einer Stadt ab. Wichtig für den IS ist, dass er als Organisation nicht vollkommen zermürbt wird. Die IS-Führung glaubt, das verhindern zu können – und alles andere wird die Zeit regeln.
Das Gespräch führte Simon Leu.