Mit einem eindringlichen Aufruf zur Einigkeit hat US-Präsident Barack Obama die zerstrittenen Europäer bei der Krisenbewältigung stärker in die Pflicht genommen. «Ein vereintes Europa, früher ein Traum weniger, ist jetzt eine Hoffnung der Vielen und eine Notwendigkeit für uns alle», sagte er in einer Grundsatzrede in Hannover.
Obama war seit Sonntagmittag in Niedersachsen und hatte auf Einladung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel die Industrieschau Hannover Messe mit den USA als Partnerland eröffnet.
Kleiner G5-Gipfel
Vor seiner Abreise traf sich Obama mit Angela Merkel, Grossbritanniens Premierminister David Cameron, Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi zu einem kleinen Europa-Gipfel.
Die fünf Politiker berieten dabei über eine Reihe von Krisen. «Die drängendsten Fragen der sicherheitspolitischen Agenda wollen wir in einem engen transatlantischen Schulterschluss bewältigen», sagte Merkel im Anschluss.
Libyen und Syrien auf der Agenda
Konkrete Massnahmen wurden bei dem Treffen aber nicht beschlossen. Auch über ein Eingreifen der Nato in Libyen sei nicht gesprochen worden, weil die EU-Mission «Sophia» zum Kampf gegen Schlepper bestehe, sagte Merkel. Auch zu den Forderungen Obamas nach mehr militärischer Hilfe in Syrien habe es keine Abmachungen gegeben, sagte Merkel.
In der Flüchtlingsagenda sei man sich einig gewesen, dass das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei umgesetzt werden müsse. Die US-Regierung beteilige sich bereits an der Nato-Mission in der Ägäis.
Die USA seien bereit, im Zusammenhang mit der Migrationsroute von Libyen nach Italien Verantwortung zu übernehmen, sagte Merkel. Man wolle die libysche Einheitsregierung nach Kräften unterstützen.
Beeindruckt von Europa
Obamas Grundsatzrede bei der Hannover Messe war einerseits ein wahres Loblied auf Europa und andererseits der Appell ab eine stärkere Einheit. Trotz der anstehenden Abstimmung über eine Abspaltung Grossbritanniens und die Flüchtlingskrise bezeichnete er die EU als «eine der grössten politischen Errungenschaften der Neuzeit». Ein geeintes Europa sei entscheidend für die Weltordnung.
Bei der Aufnahme von Flüchtlingen rief er zu mehr Offenheit auf. «Wir alle müssen etwas beitragen, wir alle müssen Verantwortung übernehmen. Das gilt auch für die USA», sagte Obama. Bisher haben die USA verhältnismässig wenige Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsländern im Mittleren Osten aufgenommen.
Mehr Engagement für Sicherheit
Obama forderte Europa zu mehr Engagement im Kampf gegen die Terror-Miliz Islamischer Staat (IS) auf. Europa müsse einen Teil der Last übernehmen, um die internationale Sicherheit zu gewährleisten, sagte Obama in seiner Rede. Bei der Bekämpfung des IS könnte Europa und die Nato mehr tun.
Er kündigte an, bis zu 250 zusätzliche US-Soldaten nach Syrien zu schicken. Sie sollen örtliche Kräfte im Kampf gegen den IS unterstützen. «Das Leiden des syrischen Volkes muss ein Ende haben», sagte der US-Präsident. Bisher waren rund 50 Angehörige von US-Spezialeinheiten in Syrien aktiv.
Neuer transatlantischer Schulterschluss
Die neue Begeisterung Barack Obamas am Ende seiner Reise nach Europa komme vermutlich aus einer Not heraus, meint SRF-Korrespondent Adrian Arnold in Hannover. «Die USA kann und will die Konflikte in der Welt nicht mehr allein lösen: Syrien, Libyen, Irak, Afghanistan, die Ukraine, der Kampf gegen den Terrorismus.»
Da brauche es auch ein starkes, vereintes Europa. «Obama braucht Europa auch als verlässlichen und starken Wirtschaftspartner, der nur dann stark und potent ist, wenn er politisch in sich stabil ist», sagt Arnold.
Vom Besuch bleibe wohl hängen, dass man von einem neuen transatlantischen Schulterschluss sprechen könne. «Ein Schulterschluss der westlichen Wertegemeinschaft, die im Kampf gegen den Terrorismus weltweit gemeinsam führen will.» Merkel habe es treffend gesagt, dass wenn man gemeinsam handle, viel stärker sei, als wenn jeder allein auf einem Konfliktfeld agiere.