Norbert Hofer und Alexander van der Bellen schenken sich nichts. Denn: Sie beide wollen österreichischer Bundespräsident werden. Vor der Stichwahl machen der Freiheitliche und der Unabhängige aber nicht nur mit verbalen Spitzen von sich reden. Sie bestimmen auch mit Aussagen über das Präsidialamt die Schlagzeilen.
«Wenn Österreich weiter leidet (...), steht am Ende die Möglichkeit der Entlassung der Regierung.» Mit diesem Satz hat zunächst Hofer seine Ambitionen glasklar gemacht: Einmal gewählt, nimmt er das Heft in die Hand – und gibt sich nicht wie die meisten seiner europäischen Amtskollegen mit repräsentativen Aufgaben zufrieden.
Rivale Van der Bellen artikuliert seine Absichten nicht ganz so laut. Doch auch der grüne Politiker will als Bundespräsident eine aktive Rolle spielen.
Viel Potenzial in der Verfassung
Aber: Dürfen sie das überhaupt? Und wenn ja, wie genau können sie auf die Landespolitik Einfluss nehmen? Manfried Welan, österreichischer Politik- und Rechtswissenschafter, zählt die wesentlichen Befugnisse des Bundespräsidenten auf:
- Die Ernennung des Kanzlers, und, auf dessen Vorschlag hin, die Ernennung der übrigen Mitglieder der Bundesregierung
- Die Entlassung des Bundeskanzlers und der gesamten Bundesregierung
- Die Vertretung der Republik nach aussen
- Die Beurteilung des verfassungsmässigen Zustandekommens der Bundesgesetze
- Die Möglichkeit, Staatsverträge zu verhindern. Sei es am Anfang, dass er die Ermächtigung nicht erteilt, sie abzuschliessen; sei es am Schluss, wenn er einen Vertrag endgültig unterzeichnen müsste
- Verschiedene kleinere Kompetenzen. Etwa die Ernennung des höheren Personals, also von Beamten oder Richtern. Hier bedarf es zwar eines Vorschlags der Bundesregierung. Er muss entsprechenden Vorschlägen aber nicht nachkommen
- Die Erlassung einer Notverordnung
- Die Auflösung des Nationalrats
- Der Oberbefehl über das Bundesheer
All diese Befugnisse sind durch die österreichische Verfassung von 1929 gestützt. Dass sie erst jetzt zum Thema werden, hängt mit dem österreichischen Gewohnheitsrecht zusammen. Laut Manfried Welan pflegten die Staatsoberhäupter nämlich bis heute «eine Haltung der Zurückhaltung».
Sowohl Norbert Hofer wie auch Alexander van der Bellen legen nahe, dass sich dieser «Stil der Stille» – wie Welan das Gebaren des Bundespräsidenten konzise benennt – bald ändern könnte. Doch findet sich das österreichische Volk bald ins alte Weimar versetzt («Profil», 22.04.2016)? Ja, regiert das künftige Staatsoberhaupt dann gar in Hindenburgs Manier («Die Zeit», 28.04.2016)? (Mehr zur historischen Rolle des Präsidenten in der Box unten.)
Vorschläge müssen (...) auch dem Bundespräsidenten gefallen. Sonst läuft der Urheber Gefahr, von diesem entlassen zu werden.
Bundesgesetze nicht beurkunden
Da juristische Usanzen zählebig sind, wird das neue Staatsoberhaupt vorläufig wohl kaum eine Notverordnung erlassen. Ebenso wenig wahrscheinlich ist, dass er mit Soldaten zu Felde zieht. Dass der Präsident aber subtilen Druck ausübt, ist laut Manfried Welan nicht auszuschliessen.
Der Politik- und Wissenschafter richtet sein Augenmerk auf die Beurteilung der Bundesgesetze: «Hier ist man sich uneins, ob diese Beurteilung nur formaler oder auch inhaltlicher Natur ist. Das heisst, der Bundespräsident muss je nach Verständnis die Gesetze nicht nur auf ihre formale Richtigkeit überprüfen, sondern auch erwägen, ob sie der Verfassung widersprechen. Dann hat er effektiv die Möglichkeit, Gesetze nicht zu beurkunden.»
Weiter sei die Möglichkeit der Entlassung der Regierung zumal mittelbar pikant. Manfried Welan: «Weil der Bundespräsident die Regierung entlassen kann, vermag er im Grunde deren Vorschläge zu hintertreiben. Will heissen: Die Vorschläge müssen nicht nur dem Parlament, sondern auch dem Bundespräsidenten gefallen. Ansonsten läuft derjenige, der den Vorschlag macht, Gefahr, vom Bundespräsidenten entlassen zu werden.»
Unter dem Strich erachtet Welan den österreichischen Bundespräsidenten als «schlafenden Riesen». Denn: «Ohne Vorschlag der Regierung kann er nur entlassen. Aber ihm kann plötzlich ein Licht aufgehen, dass er über die Möglichkeit des Entlassens Druck auf die Regierung ausüben kann.»
Gewohnheit schuf Geborgenheit
Nun kann man sich fragen, warum sich ein System seit 1929 gehalten hat, das dem Bundespräsidenten derart weitgehende Befugnisse zuschanzt. Manfried Welan: «Die Regierungsparteien waren mit dem System sehr zufrieden. Denn bisher ist stets einer aus ihren Reihen Bundespräsident geworden. Das ändert sich nun. Ob nun ein blauer (FPÖ) oder grüner Kandidat das Rennen macht – künftig wird ein Oppositioneller Bundespräsident sein.»
Dieser Tatbestand hat Konsequenzen: Wer auch immer in der Stichwahl in die Hofburg einzieht, ist versucht, seine Möglichkeiten auszureizen – um zur Regierung ein Gegengewicht zu schaffen. Die regierende Koalition hat auf der anderen Seite guten Grund, wegen einer trägen, aber potenziell mächtigen Institution auf der Hut zu sein.