Gerald Knaus ist der Leiter des Think-Tanks europäische Stabilitätsinitiative, mit Büros in Brüssel, Berlin und Istanbul. In dieser Funktion berät er verschiedene Regierungen von EU-Mitgliedstaaten in der Flüchtlingskrise, etwa die holländische, welche zurzeit die Ratspräsidentschaft innehat, aber auch die deutsche.
Knaus kritisiert den wachsenden Druck auf Griechenland mit schärfsten Worten: «Diese gesamte Kampagne gegen Griechenland ist vollkommen unseriös und populistisch. Griechenland kann gar nichts dagegen machen, wenn Boote die türkische Küste verlassen und nach Griechenland fahren, ausser man will, dass Griechenland auf die Boote schiesst.»
Griechenland müsse auf Grund diverser internationaler Verpflichtungen die Flüchtlinge auf offener See retten. Das sei eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Bemerkenswert sei, dass diese immer stärker in Frage gestellt werde: «Die Schlussfolgerung daraus ist, dass der deutschen Kanzlerin und denen, die eine liberale, im Einklang mit der Flüchtlingskonvention stehende Lösung dieser Krise in Europa wollen, immer mehr die Kontrolle über den europäischen Diskurs entgleitet.»
Hotspot-System hat bis jetzt nicht funktioniert
Knaus sieht den Grund für dieses Entgleiten im Scheitern der bisherigen Strategie. Eigentlich sollten die Flüchtlinge in Griechenland in Hotspots registriert und dann auf die anderen Länder umverteilt werden. Das funktioniert aber nicht. Deshalb propagierten einzelne Länder immer absurdere Lösungen, wie gestern die vier Visegrad-Staaten, Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien mit ihrem Plan B.
Dieser Plan B sieht vor, dass sie die Balkanroute dicht machen wollen, sollte Griechenland nicht fähig sein, die eigene Seegrenze zur Türkei zu schliessen. So entgleite Merkel der Diskurs, sagt Knaus, deshalb sei der Gipfel der Staats- und Regierungschefs gegen Ende dieser Woche von grösster Bedeutung: «Dieser Gipfel wird umso wichtiger, als die deutsche Kanzlerin und andere in dieser Koalition der willigen Länder einen klaren, umsetzbaren Plan vorschlagen, der Resultate bringen wird.»
Hunderttausende aus der Türkei einfliegen
Knaus' Think Tank hat vor einigen Monaten bereits einen eigenen Vorschlag lanciert. Kurz zusammengefasst: Die EU solle das Konzept mit den Hotspots beenden, weil das Griechenland massiv überfordere. Sie solle alle Flüchtlinge, welche in Griechenland ankämen, zurück in die Türkei schaffen, dafür solle die EU im grossen Stil Flüchtlinge – also hunderttausende – aus der Türkei direkt in die EU einfliegen.
Knaus hat diese Idee mit der holländischen Regierung, aber auch mit Ratspräsident Donald Tusk und der deutschen Regierung besprochen: «Wenn die deutsche Kanzlerin sich dafür stark macht und das glaubwürdig vertritt, dann kann sie hoffentlich die Oberhoheit über die Debatte zurückgewinnen. Ansonsten befinden wir uns in einer Situation, in der wie vor dem ersten Weltkrieg schlafwandelnde Politiker mit absurden Plänen die europäische Einigung zerstören.»
Trotzdem gibt es Widerstand gegen diesen Plan, beispielsweise von Menschenrechtsorganisationen. Sie sagen, Flüchtlinge zurück in die Türkei zu schaffen, sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Das widerspreche fundamentalsten Menschenrechten. Daher stellt sich die Frage, was mit den Menschen sein wird, wenn sie nicht in die Türkei zurückgeschafft werden dürfen und wenn vielleicht der politische Wille fehlt, sie in grosser Zahl aus der Türkei in die EU einzufliegen.
Dann kommen die Flüchtlinge weiterhin über das Meer. Und weil Griechenland diese Grenze nicht dicht machen kann, könnte es eben doch noch auf den erwähnten Plan B, die Schliessung der Balkanroute hinauslaufen.