Die EU und Russland liefern sich einen Machtkampf um den Einfluss in der Ukraine. Seit Tagen brodelt es deshalb auch innerhalb der Ukraine: EU-Befürworter demonstrieren gegen EU-Gegner – mit lauten Protesten. Die im Gefängnis sitzende Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko wehrt sich mit einem Hungerstreik gegen die geplatzte Annäherung an die EU.
Die Ukraine inmitten starker Pole
Die Ukraine sei derzeit abhängig von ihren ausländischen Partnern. Das Land stecke in einer tiefen Rezession, sagt Makroökonom Felix Brill, der Unternehmen weltweit berät. Auch die Devisenreserven der Ukraine würden Anlass zur Sorge bieten: «Diese könnten noch Importe von zwei Monaten decken. Zudem braucht das Land dringend externe Finanzspritzen», so Brill. Diese wirtschaftliche Schwäche mache die Ukraine manipulierbar.
Im Gegenzug bietet der zweitgrösste Flächenstaat Europas mit seinen 45 Millionen Einwohnern grosses Potenzial. Entsprechend gross sind die Interessen der EU und Russlands an der Ukraine.
Moskau will eurasische Zollunion
«Russland fühlt sich durch die EU bedroht. Das Land hat Angst, dass die EU zwischen die Ukraine und Russland einen machtpolitischen Keil schlagen will», sagt Peter Gysling, Korrespondent von Radio SRF in Moskau, in der Sendung «Tagesgespräch». Russland befürchte, dass bei einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine billige Waren nach Russland strömten und den eigenen Markt bedrohten. Russland wolle deshalb in einer eurasischen Union eigene Zölle erheben.
Die Ukraine ist einerseits abhängig von russischem Erdgas, andererseits ist Russland dessen wichtigster Handelspartner. 25 Prozent der ukrainischen Exportgüter gehen nach Russland. «Die Exporte aus der Ukraine nach Russland sind zwischen Januar und August dieses Jahres im Vergleich zur Vorjahresperiode um 25 Prozent eingebrochen – vor allem durch die Einführung von Handelsrestriktionen auf russischer Seite,» sagt Ökonom Felix Brill. Möglich sei, dass diese Handelshemmnisse bei einer weiteren EU-Annäherung noch verschärft würden.
Elmar Brok, deutscher CDU-Politiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Euopaparlaments nennt diese von Russland ergriffenen Hemmnisse «illegale handelspolitische und Zollmassnahmen». Auch werde Druck mit Gaspreisen ausgeübt. Für Brok ist Janukowitsch aber auch nicht bereit, Risiken zu nehmen, die Ukraine voranzubringen. Broks Fazit: «Er ist nur an seiner Wiederwahl und den wirtschaftlichen Interessen seiner Familie interessiert.»
Erweiterung des europäischen Gesellschaftsmodells
Die EU möchte durch das vorerst geplatzte Assoziierungsabkommen mit der Ukraine eine Freihandelszone etablieren. Das Abkommen sieht auch im Energiebereich eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und der Ukraine vor: Die Ukraine ist das wichtigste Transitland für russisches Erdgas in die EU.
Nebst wirtschaftlichen Interessen spielen aber auch geopolitische Interessen eine entscheidende Rolle: Hinter der Annäherung an die Ukraine «steckt die Logik der EU-Erweiterung. Es geht um mehr als ein Wirtschaftsprojekt», sagt Urs Bruderer, Korrespondent von Radio SRF in Brüssel. «Die EU fordert von der Ukraine Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Sie will ihr demokratisches Gesellschaftsmodell in Richtung Ostern erweitern.»
EU-Gipfel: Keine Hoffnung auf Abkommen
Ab Donnerstag findet in Vilnius, der Hauptstadt Litauens, der EU-Gipfel der östlichen Partnerschaften statt. Es werden nicht erwartet, dass das geplante Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine noch unterschrieben werde, sagen die SRF-Korrespondenten Urs Bruderer und Peter Gysling.
Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch hatte das Abkommen letzte Woche gestoppt und sich für eine erneute Annäherung an Russland ausgesprochen. Janukowitsch hatte sich unter anderem beschwert, der internationale Währungsfonds (IWF) hätte seinem Land geplante Finanzhilfen nicht gewährt. Zudem habe die EU Einzelaspekte – wie die Inhaftierung von Julia Timoschenko – ins Zentrum der Diskussionen gestellt. Die EU betont, die Türen für ein Abkommen seien für die Ukraine weiterhin geöffnet.