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Israel und die Golanhöhen «Das israelische Vorrücken ist für viele eine schlimme Erfahrung»

In Syrien rückt die israelische Armee seit dem Fall des Assad Regimes weiter vor. Im Westen Syriens, in der Region um die Golanhöhen, bauen israelische Soldaten Stützpunkte, wie Satellitenbilder zeigen. Israel besetzt damit Gebiete, die eigentlich zu Syrien gehören. Die Menschen vor Ort seien verunsichert, so Politikwissenschaftlerin Bente Scheller.

Bente Scheller

Politikwissenschaftlerin und Nahostexpertin

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Bente Scheller leitet das Referat für den Nahen Osten und Nordafrika bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Diese steht den deutschen Grünen nahe.

SRF News: Wie nehmen die Menschen in der Gegend die Lage wahr?

Bente Scheller: Für die Menschen auf dem Golan ist es ein schlimmes Erwachen. Über die Jahre des Syrien-Krieges haben sie Israel als Verbündeten gegen das Regime angesehen; viele verletzte Menschen wurden sogar in Israel behandelt. Nun aber haben sich für viele Menschen die Dinge geändert: Das israelische Vorrücken, welches sehr brutal geschieht und bei dem Menschen zu Schaden kommen, stellt für viele, welche Israel vertraut haben, eine schlimme Erfahrung dar.

Viele Angehörige der Drusen, einer Minderheit, leben in der Region im Golan. Israel argumentiert, dass es bei der Militäroperation darum gehe, die Drusen in Syrien zu beschützen. Wie schätzen Sie diese Begründung ein?

Diese Argumentation kann ich nicht nachvollziehen. Die Drusen sind durch die jetzige syrische Regierung nicht bedroht. Generell hat es wenige Übergriffe zwischen allen Konfessionen in Syrien gegeben. Zudem bin ich erstaunt über dieses Argument, da Israel im Vorfeld andere Gründe für ein Vorrücken genannt hatte. Da ging es um die Selbstverteidigung Israels und es war die Rede davon, hier in den Gebieten, die sie erobern, selbst siedeln zu wollen.

Was ist die Absicht hinter dieser Neubesetzung oder weitergehenden Besetzung des Golans durch Israel?

Wir müssen uns vor Augen führen, dass Israel am 7. Oktober 2023 stark traumatisiert wurde. Das Misstrauen gegenüber all seinen Nachbarstaaten ist erneut geweckt worden und daraus folgt auch dieser Selbstverteidigungsgedanke, mit dem die Intervention begründet wird. Gleichzeitig hat Israel beim Golan grünes Licht durch die USA erhalten, Gebiete, die es bereits 1967 besetzt hatte, zu annektieren.  Zudem ist in der Region Wasser ein strittiges Thema und auf den Golanhöhlen gibt es Wasserresourcen, die im Wesentlichen Israel und Syrien zugutekommen.                       

Die israelische Regierung will laut Medienberichten den Drusen in Syrien in diesen neu besetzten Gebieten Arbeitsbewilligungen für Israel ausstellen. Wie kommt das an?

In Israel gibt es ein Bedürfnis, Arbeitskräfte ins Land zu holen. Auch, weil durch die Abriegelung der Westbank sehr viel weniger Palästinenserinnen und Palästinenser in Israel arbeiten können, könnte das eine Motivation Israels sein. Für diejenigen Drusen in Syrien könnte das ganze durchaus eine willkommene Möglichkeit des Geldverdienens darstellen.

Das sind die Drusen

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Die Drusen sind eine Religionsgemeinschaft im Nahen Osten. Weltweit gibt es etwa eine Million, von denen die Mehrheit in Syrien, Israel, Jordanien und Libanon lebt.

Obwohl der Glaube der Drusen stark von schiitischen, vor allem von den ismailitischen Traditionen, geprägt ist, sind die Unterschiede zum Islam so gross, dass man von einer eigenständigen Religion und nicht von einer Richtung des Islam sprechen kann. Die Drusen interpretieren den Koran oft ganz anders als Sunniten und Schiiten.

Und wie wird das im übrigen Syrien von den Angehörigen der anderen Bevölkerungsgruppen wahrgenommen?

Die israelische Offensive stösst hier auf wenig Gegenliebe. Die syrische Übergangsregierung hat signalisiert, dass sie Frieden möchte, dass sie nicht daran interessiert ist, Konflikte und Kriege mit ihren Nachbarstaaten einzugehen, dass sie sich auch nicht einmischen möchte in die inneren Angelegenheiten von Nachbarstaaten. Deshalb reagiert man hier irritiert darüber, dass die israelische Regierung darauf nicht eingeht und im Gegenteil militärisch viel Porzellan zerschlägt.

Das Gespräch führte Amir Ali.

SRF 4 News, 5.3.2025, 16:20 Uhr ; 

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