In den vergangenen Jahren haben die Ermittler in Italien zahlreiche islamistische Extremisten verhaftet. Mehrere Dutzend Imame wurden ausgewiesen, weil ihnen die Behörden dank strenger und umfassender Überwachung eine Radikalisierung nachweisen konnten.
Der letzte eklatante Fall ereignete sich Ende März 2017 in Venedig. Spezialeinheiten von Carabinieri und Polizei verhafteten mitten in der Nacht vier mutmassliche Terroristen. Die vier Kosovaren bereiteten sich laut den Ermittlern auf ein Attentat vor, das Dutzende Tote gefordert und für Venedig und Italien verheerende Folgen gehabt hätte.
Anschlagsziel Rialto-Brücke
Die vier Kosovaren wollten offenbar die Rialto-Brücke auf dem Canal Grande in Venedig sprengen – ein Magnet für Touristen. Von den Anschlagsplänen erfuhren die Ermittler dank Mikrofonen, die sie in einer Wohnung der Kosovaren platziert hatten. Eine der Aussagen, welche die Ermittler aufschreckte, war: «Mit all diesen ungläubigen Heuchlern in Venedig kommst du mit einer Bombe an Rialto sofort ins Paradies.»
Die vier mutmasslichen Attentäter waren zuvor fast ein Jahr lang abgehört und überwacht worden. Der präventive Lausch- und Überwachungsangriff auf die vier Kosovaren war umfassend: Die Carabinieri observierten Telefon, Internetverkehr, Wohnung und Arbeitsplatz. Dank der Überwachung sei es möglich gewesen, «ihre Radikalisierung über Monate live zu verfolgen», sagt Davide Ravarotto, Überwachungsoffizier der Carabinieri in Venedig gegenüber der «Rundschau».
Italien als Modell
Präventives Abhören von Telefonaten und Gesprächen wurde in Italien bereits als Waffe gegen den hausgemachten Terror der 70er und 80er Jahre – und gegen die Mafia gesetzlich eingeführt. Heute erweist sich die Erfahrung als kostbar für die Ermittler im Kampf gegen Extremisten und Zellen, die im Namen der Terrororganisation IS Anschläge planen.
Der italienische Senator Felice Casson ist Sekretär des parlamentarischen Geheimdienstausschusses. Für den ehemaligen Staatsanwalt kann Italien ein gutes Vorbild in der Terrorabwehr sein. Andere europäische Staaten sollten bei der Überwachung nachziehen. «Niemand ist vor Terrorismus sicher, auch Italien nicht», sagt Casson gegenüber der «Rundschau».
Es gebe aber Staaten in Europa, die weder über die nötige Technologie noch über die nötige Ermittlungserfahrung verfügten. «Italien ist auf technischer und gesetzlicher Ebene sicher viel weiter», so Casson.
Schweiz zieht nach
Präventive Lauschangriffe auf mutmassliche Terroristen werden bald auch in der Schweiz möglich sein. Im September 2017 wird das neue Nachrichtendienstgesetz in Kraft treten, das den Ermittlern neue Möglichkeiten in der Terrorabwehr geben wird.
Umstritten ist zurzeit allerdings, wie weit in der entsprechenden Verordnung die Kompetenzen des Nachrichtendienstes gehen sollen, zum Beispiel bei der Kabelaufklärung. Ob das italienische Terrorabwehr-Modell einer massiven, präventiven Überwachung auch in der Schweiz Schule machen soll, gehen die Meinungen auseinander.
Ausbau der «Schnüffelkompetenzen»
Niemand könne etwas dagegen haben, die Schweiz sicherer zu machen, sagt Balthasar Glättli, Nationalrat der Grünen und Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission. «Der Ausbau der Schnüffelkompetenzen ist aber nicht das richtige Rezept», so Glättli. Durch weniger Freiheiten erreiche man nicht mehr Sicherheit. «Das ist ein falsches Versprechen», glaubt Glättli.
Für Ex-Geheimdienstchef Peter Regli zeigen hingegen die Erfolge in Italien, dass es höchste Zeit sei, dem Schweizer Nachrichtendienst mehr Kompetenzen zu geben. «Wir müssen Mittel und Technologien haben, um dem Gegner Paroli zu bieten», sagt Regli. Denn der IS sei überall, warnt Regli in der «Rundschau». Der Geheimdienst in Italien habe heute viel mehr Kompetenzen bei der Überwachung und der Beschaffung von Informationen als in der Schweiz.