SRF: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will mit einem 21-Milliarden-Fonds für Investitionsprojekte die europäische Wirtschaft in Schwung bringen. Kann sein Plan funktionieren?
Oliver Washington: Das ist die grosse Frage. Juncker ist optimistisch. Und er hat versprochen, dass die Kommission seinen Plan wiederholen werde, wenn er funktioniert. Der Fonds ist ja zunächst für die nächsten drei Jahre konzipiert. Dann können nochmals drei Jahre angehängt werden. Ich habe allerdings mit verschiedenen Experten gesprochen und da gibt es grosse Zweifel, ob er wirklich funktioniert.
Wo liegt denn das Grundproblem?
Die ganz grosse Frage ist, wie Juncker dazu kommt, dass ein öffentlicher Euro, welcher gleichsam die Risiken bei Investitionen absichern soll, dann 15 private Euros anlocken soll. Einzelne Experten haben diese Berechnung als abenteuerlich bezeichnet.
Bei Ökonomen gibt es also Vorbehalte. Wie ist denn der Rückhalt im EU-Parlament?
Insbesondere die grossen und für Juncker wichtigen Parteien, wie die Sozialdemokraten, die Volkspartei und die Liberalen, senden positive Signale. Bei ihnen lautet der Tenor: Endlich macht die Kommission etwas. Nachdem sie unter Junckers Vorgänger Barroso vor allem das Sparen in den Vordergrund gerückt habe, gehe die Kommission die grossen Probleme nun an.
Und Europa hat ein riesiges Investitionsproblem. Während der Krise der letzten Jahre gingen die Investitionen zum Teil dramatisch zurück. Da braucht es eine Trendwende. Nur dann kommt die Wirtschaft Europas wieder in Schwung. Aber auch im Parlament gibt es Zweifel, ob das ganze wirklich so funktioniert, wie sich Juncker das vorstellt.
Vorgesehen ist, dass Private in Infrastruktur investieren, in Schulcomputer in Griechenland, in Elektromobil-Tankstellen in Frankreich, in Strassenprojekte. Das sind eigentlich doch Aufgaben der Staaten. Was würde es denn bedeuten, wenn diese plötzlich in privater Hand wären?
Wenn das ganze tatsächlich funktioniert, dann wäre das ein riesiges Privatisierungsprojekt. Wir sprechen, wie Sie gesagt haben, von Infrastrukturen, die normalerweise vom Staat bezahlt werden. Wenn diese aber zum grossen Teil in privater Hand sind, dann werden die Bürgerinnen und Bürger den Investoren etwas bezahlen müssen, wenn sie die Infrastrukturen benützen. Denn die Investoren wollen ja eine Rendite. Das wäre in diesem Ausmass sicher ein Novum.
Das Paradoxe dabei: Zuerst haben die Staaten die Banken retten müssen, so haben sie sich verschuldet. Und nun haben sie kein Geld mehr und sind auf private Geldgeber angewiesen, die sie vorher gerettet haben.
Das EU-Parlament signalisiert Wohlwollen. Was braucht denn es jetzt, damit das Juncker-Programm in Fahrt kommt?
Es braucht noch die definitive Zustimmung des Parlaments und vor allem auch der Mitgliedstaaten. Da gehe ich davon aus, dass Juncker die Unterstützung haben wird. Er hat die Länder zudem dazu aufgefordert, auch selber Geld in den Fonds einzuzahlen, so würde die Kapitalbasis stärker. Damit stiege die Chance, dass sich private Investoren auch wirklich substantiell beteiligen.
Junckers Argument für die Beteiligung der Staaten ist: Wenn es beispielsweise der Wirtschaft in Griechenland besser geht, profitiere davon auch Deutschland. Er appelliert also an die Solidarität. Und da bin ich gespannt, ob sich die Länder daran beteiligen werden.