Erst seit einem Tag hatte Rob Serra damals sein Feuerwehr-Diplom in der Tasche. Er war jetzt vollwertiges Mitglied des stolzen New Yorker «Fire Department» FDNY. Am 11. September 2001, dem Tag nach seinem Akademie-Abschluss, hatte er frei. Er war auf dem Weg zum Training des Hockey-Teams der Feuerwehr, als die Flugzeuge in die beiden Türme des World Trade Centers rasten.
Rob sah die Lücke in einem der Türme von einer Brücke aus, machte kehrt, holte seine Ausrüstung und fuhr zum Ort des Geschehens. Als er eintraf, waren die Türme eingebrochen. Atemschutzmasken hatte es nur für jene, die offiziell im Dienst standen. Wie viele andere Helfer auch, war Rob deshalb ohne angemessenen Schutz im Einsatz.
Luft wie Kuchenteig
Er half mit, nach Opfern zu suchen, wühlte in den staubigen Trümmern. Nach ein paar Stunden setzte bei ihm Nasenbluten ein. Er wurde ohnmächtig.
Heute kann Rob längere Strecken nicht mehr ohne Rollstuhl zurücklegen. Er zittert oft, hat Lähmungserscheinungen in den Beinen. Die Ärzte bestätigten ihm: Es sind Spätfolgen seines Einsatzes vom 11. September.
Die Hölle auf Erden sei es gewesen, sagt er heute. «Die Luft war dicht wie Kuchenteig. Man konnte sie von Hand greifen. All die Fenster, Computer und Fernseher aus den Gebäuden, all das war zu Staub geworden. Das haben wir alles eingeatmet.»
Dabei habe er noch Glück im Unglück, sagt Rob. Manche seiner Kollegen wurden beim Einsturz der Türme getötet. Und vom gefürchteten «9/11 cancer», dem Krebs als Folge der Terror-Anschläge, wurde er bisher verschont. Laut den Betreibern der Gedenkstätte am Ground Zero sind bereits rund 2000 Menschen an den Spätfolgen gestorben. Es sind Feuerwehrleute, Polizisten, aber auch Anwohner, Mitarbeiter oder Schüler, die kurz nach den Anschlägen zurück in ihre Wohnungen, Büros oder Schulen gelassen wurden, obwohl die Luft noch voller Schadstoffe war.
Erwiesene Spätfolgen
Genaue Zahlen zu den Erkrankten sind schwer zu eruieren, weil es verschiedene, teils überlappende Erhebungen und Opfer-Fonds gibt. Klar ist: Es sind mehrere Zehntausend, bei denen Ärzte einen Zusammenhang zwischen den Terror-Anschlägen und ihren Symptomen festgestellt haben.
Die Palette der Erkrankungen ist breit. Sie reicht von Atemproblemen über Depressionen bis zu Krebs. Rund 15 Prozent der Opfer entwickelten beispielsweise nach dem 11. September eine zuvor nicht diagnostizierte Asthma-Erkrankung. Studien belegen, dass Rettungskräfte, die damals im Einsatz standen, signifikant häufiger an Schilddrüsenkrebs oder Hautmelanomen leiden als die Allgemeinbevölkerung.
Kampf im Kongress
Längst nicht alle Folgekosten sind für die Opfer gedeckt. Im Jahr 2010 hiess der Kongress deshalb das so genannte «Zadroga-Gesetz» gut, auf dessen Basis ein Hilfsfonds den Opfern mehrere Milliarden Dollar an Entschädigungen und finanzieller Hilfe auszahlen konnte. Benannt ist das Gesetz nach dem Polizisten James Zadroga, der nach seinem Einsatz am 11. September bald über Halsschmerzen und Husten klagte und 2006 an den Folgen einer Staublunge starb.
Der Hilfsfonds war jedoch auf wenige Jahre beschränkt. Immer neue Opfer kamen hinzu. 2015 mussten Opfer-Vereinigungen in Washington um zusätzliche Mittel und eine Verlängerung kämpfen, schlussendlich mit Erfolg.
Doch nun geht dem Fonds das Geld aus. Die Opferzahlen und Kosten für die Behandlung der teils dramatischen Krankheiten steigen weiter. Jeden Monat melden sich mehrere Hundert neue Antragssteller bei den Behörden. Allein die Zahl der diagnostizierten Krebserkrankungen ist mittlerweile auf über 12'000 Fälle angestiegen. Weil das Geld ausgeht, werden Anträge abgelehnt oder Zahlungen gekürzt.
Comedian sorgt für Aufmerksamkeit
Rob Serra und seine Mitstreiter fordern deshalb, dass der Fonds nicht mehr wie bisher alle fünf Jahre erneuert werden muss, sondern auf Jahrzehnte hin ohne Obergrenze die nötigen Mittel zur Verfügung stellen soll. Sie stiessen mit ihrem Vorhaben auf wenig öffentliches Interesse – bis zum vergangenen 11. Juni. Da reisten Rob und andere Opfer nach Washington, um in einem Kongress-Hearing auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
Begleitet wurden sie vom prominenten New Yorker Comedian Jon Stewart, der sich schon seit vielen Jahren für die «First Responders», die Einsatzkräfte des 11. September, einsetzt. Stewart las den Kongressmitgliedern die Leviten, wies empört auf die vielen leeren Stühle der Abgeordneten hin. Sein Auftritt wurde zum viralen Video. Plötzlich war das öffentliche Interesse da. Der Druck auf die Politiker, rasch eine Lösung zu suchen, ist seither gestiegen.
Im Visier haben Rob Serra und die anderen Opfer insbesondere Mitch McConnell, den Mehrheitsführer der Republikaner im Senat. Er habe die Verlängerung des Fonds immer wieder verzögert und die Opfer als politische Spielbälle missbraucht, sagt Rob. McConnell bestreitet den Vorwurf. Er lud Ende Juni eine Opfer-Delegation zum Gespräch und stellte in Aussicht, dass er die Finanzierung sicherstellen wolle. Rob hofft nun, dass es noch vor dem nächsten Jahrestag eine Lösung gibt.
«Ich bereue nichts»
Einer seiner bekanntesten Mitstreiter wird dies nicht mehr miterleben. Der ehemalige Polizist Luis Alvarez war im Juni bereits schwer gezeichnet zum Kongress gereist. Der Krebs hatte ihn schon stark geschwächt. Eigentlich wäre am Tag nach seinem emotionalen Auftritt eine weitere Chemotherapie vorgesehen gewesen. Doch seine Leber versagte. Am letzten Samstag verstarb Luis Alvarez im Alter von 53 Jahren.
Ein weiterer Kollege, von dem sich Rob Serra verabschieden muss. Trotz der Schmerzen, die er täglich hat, trotz der Lähmungen und dem Zittern – Rob bereut seinen Einsatz von damals nicht: «Ich würde alles wieder gleich machen wie damals. Ich wünschte höchstens, ich hätte mehr helfen können.»