- Tausende Migranten begeben sich trotz höchster Lebensgefahr weiter in die Hände von libyschen Schleppern, um übers Mittelmeer nach Europa zu kommen.
- Die EU-Aussenminister beraten heute, wie das libysche Schlepperwesen eingedämmt werden kann. Es geht um die Aufrüstung der libyschen Küstenwache.
- Nordafrika-Kenner Beat Stauffer bezweifelt, dass die EU-Politik beim aktuellen Zustand des ehemaligen Ghadhafi-Staates funktionieren kann.
SRF News: Warum machen sich immer noch tausende Flüchtlinge nach Libyen auf, obwohl ihnen massivste Gewalt droht?
Beat Stauffer: Die Armuts- und Wirtschaftsmigranten haben vermutlich derart positive Bilder von einem besseren Leben in Europa im Kopf, dass sie die Warnungen nicht mehr beachten. Zugleich versprechen ihnen die Schlepper, dass die Sicherheit gewährleistet sei.
Spannen die Schlepper auch mit Milizen zusammen?
In Libyen lässt sich zurzeit zu diesen Fragen nicht frei recherchieren. Vermutlich hat sich eine Arbeitsteilung zwischen Milizionären und Schleppern ergeben. Dabei gibt es Schlepper, die sich einfach von Milizionären beschützen lassen. Aber es gibt auch Milizionäre, die direkt im Schleppergeschäft mitwirken.
Die Schlepper behandeln die Flüchtlinge grausam. Was weiss man darüber?
Die Untaten der Schlepper sind mehrfach dokumentiert. Sie basieren auf Aussagen von Flüchtlingen und Berichten von Nichtregierungsorganisationen. Die Schlepper erpressen Geld von den Migranten, foltern sie in privaten Haftanstalten und halten sie unter unmenschlichen Bedingungen. Flüchtlinge werden auf einer Art Sklavenmarkt gehandelt, um aus ihnen zusätzlich Geld herauszupressen. Gelegentlich kommt es auf Booten zu weiteren Erpressungen. Migranten werden gar über Bord geworfen, wenn sie sich weigern, weitere Geldsummen an ihre Schlepper zu bezahlen.
Woher kommt die Verrohung der Schlepperbanden und Milizionäre?
Das muss wohl vor dem Hintergrund des Zerfalls von Ghadhafis «Volksmassenstaat» und dessen Ideologie gesehen werden. Diese jungen Männer, die sehr schnell zu Waffen und damit zu Macht gekommen sind, haben keine Orientierung und keine Wertmassstäbe mehr. Weil sie Macht haben, müssen sie auch nicht mehr auf die Ermahnung früherer Autoritätspersonen wie Väter, Onkel, Lehrer oder Gemeindevorsteher achten. Sie können ihre Allmachtsphantasien ausleben.
Warum können diese jungen Männer so ungestraft wüten?
Bürgerinnen und Bürger in Libyen haben Angst vor diesen bewaffneten Männern und fürchten Rache, wenn sie etwas kritisieren. So kommt es nur noch in ganz wenigen Fällen zu Protesten gegen diese Milizen, obwohl sie sich in den meisten Fällen gegenüber anderen Muslimen unislamisch verhalten.
Die EU will nun die libysche Küstenwache möglichst schnell aufrüsten, um die Schlepperboote abzufangen. Ist die Küstenwache vertrauenswürdig?
Es gibt durchaus Küstenwächter, die seriös arbeiten. Ich habe im Misrata solche Leute getroffen, die einen eher guten Eindruck machen. An der libyschen Westküste ist aber davon auszugehen, dass die Küstenwächter entweder direkt mit den Schleppern zusammenarbeiten oder wegschauen, wenn die Schlepper ihre Boote starten. In dem Sinn habe ich grosse Zweifel, ob die Politik der EU funktionieren kann, wenn sie die libysche Küstenwache besser ausrüstet.
Das Gespräch führte Barbara Büttner.