Eine Brigade ehemaliger Revolutionäre hat Libyens Premierminister Ali Seidan «befreit». Ob dabei Gewalt eingesetzt wurde, blieb zunächst unklar. Der Regierungschef soll unverletzt sein. Als erste Reaktion sagte Seidan: «Wenn es das Ziel dieser Entführung war, mich zum Rücktritt zu bewegen, dann kann ich dazu nur sagen, dass ich nicht zurücktreten werde. Wir kommen nur langsam voran, aber wir sind auf dem richtigen Weg.»
Am Morgen wurde Seidan von bewaffneten Männern aus einem Hotel in der Hauptstadt Tripolis verschleppt. Ob es sich um eine Entführung oder um eine Verhaftung handelte, ist nach wie vor unklar.
Dubiose Rolle des Innenministeriums
Ein Wachmann im Hotel beschrieb den Vorfall als «Arrest». Schüsse seien nicht abgefeuert worden. Der Fernsehsender Al-Arabija zeigte Bilder, auf denen Seidan von einer Gruppe Männer in Zivilkleidung umringt wurde.
Die Rolle des Innenministeriums bei dieser «Entführung» sei dubios, stellt ARD-Korrespondent Peter Steffe in Kairo gegenüber SRF fest. So habe es ursprünglich geheissen, die Kommandozentrale habe auf Anweisung der Staatsanwaltschaft gehandelt. Der Staatsanwalt habe dies allerdings auf Anfrage umgehend dementiert. «Dass eine Miliz des Innenministeriums den Staatschef so einfach entführen kann, zeigt, dass die Sicherheitslage noch chaotischer ist, als es die Regierung zugeben will», folgert Steffe.
Eine Gruppe ehemaliger libyscher Rebellen meldete sich nach dem Vorfall auf Facebook zu Wort. Die Gruppe «Operationszelle von Revolutionären» teilte mit, der Regierungschef sei auf Anordnung der Staatsanwaltschaft festgenommen worden. Die Festnahme sei gemäss dem libyschen Strafgesetz erfolgt. Die Zelle untersteht theoretisch den libyschen Ministerien für Verteidigung und Inneres.
Zusammenhang mit Al-Kaida
Das Entführungsopfer Ali Seidan ist der erste gewählte Regierungschef Libyens. Ali Seidan hatte während Muammar al-Gaddafis Diktatur als Oppositioneller im Exil gelebt, unter anderem im Irak und in Deutschland.
Die Entführung des Premierministers ist eine Reaktion auf die Festnahme des mutmasslichen Al-Kaida-Terroristen Abu Anas al-Libi. Ein US-Sonderkommando hatte vergangenen Samstag in Tripolis festgenommen und ausser Landes gebracht.
Die Täter teilten mit, sie hätten sich zu der Verschleppung Seidans entschlossen, nachdem US-Aussenminister John Kerry erklärt habe, die libysche Regierung habe von dem US-Einsatz gewusst. Die Entführer werfen der Regierung Korruption und Gefährdung der nationalen Sicherheit vor.
Seidan hatte Angehörige der Familie von Abu Anas al-Libi noch am Mittwoch empfangen und ihnen versichert, seine Regierung werde alles unternehmen, was in ihrer Macht stehe, «um seine Rechte zu garantieren». Die Entführung al-Libis hatte islamistische Extremisten gegen die Regierung zusätzlich aufgebracht.