Ein Wahllokal in Minsk, Ende Januar. Sie habe Alexander Lukaschenko gewählt, sagt eine Rentnerin. «Es soll alles weitergehen, wie jetzt. Wir wollen keinen Krieg.» Ein älterer Herr teilt ihre Meinung: «Hauptsache, es gibt keinen Krieg.»
Lukaschenko hat die Sorgen der Wählerinnen und Wähler bewusst geschürt. Das Jahr werde kein einfaches, sagte er kurz vor der Wahl: «Unsere Nachbarn sind in einer sehr schwierigen Situation. Aber wir werden alles tun, um den Frieden in Belarus zu bewahren.»
Schwere Geschichte
Der Pazifismus sitzt tief in Belarus. Das Land verlor im Zweiten Weltkrieg fast ein Drittel seiner Bevölkerung. Die Nazis machten tausende Dörfer dem Erdboden gleich und ermordeten die Bewohnerinnen und Bewohner. Zudem war Belarus einer der blutigsten Schauplätze des Holocaust.
In Belarus fehle daher der stolze, hurrapatriotische Blick auf den Weltkrieg, der etwa in Russland stark verbreitet ist, sagt der Minsker Politologe Jauheni Preiherman: «In Russland heisst es oft: ‹Das könnten wir auch heute noch.› In Belarus sagt man dazu eher: ‹Nie wieder.›»
Das Trauma gehe wohl noch weiter zurück, so Preiherman – schon zu Napoleons Zeiten und noch davor seien Armeen durch Belarus marschiert, um einander zu bekämpfen.
Neue Denkmäler
Im Kunstpalast in Minsk zeigt eine Fotoausstellung belarussische Monumentalskulpturen der letzten 31 Jahre – also seit Lukaschenko an der Macht ist. Es sind vor allem Kriegsdenkmäler. Was auffällt: Die typischen muskelbepackten Soldaten sind in der Unterzahl, stattdessen dominieren trauernde Mütter und ausgemergelte Zivilpersonen.
«Als Kind fragte ich meine Grossmutter nach ihrem Traum im Leben», erzählt Gleb Otschik, Kurator der Ausstellung. «Sie sagte: ‹Hauptsache, es gibt keinen Krieg.› Frieden ist dem Volk wichtig, und die Erinnerung genauso. Bei den Denkmälern liegen immer frische Blumen.»
«Alles, was Sie an dieser Ausstellung sehen, wäre ohne unser Staatsoberhaupt nicht zustande gekommen», so Gleb Otschik. «Denkmäler werden auf Erlass des Präsidenten gebaut. Er war an der Schaffung all dieser Denkmäler beteiligt. Dafür sind wir ihm sehr dankbar.»
Russische Bomben
Lukaschenko ist es recht, wenn sein Volk die Grauen der Vergangenheit nicht vergisst. Er weiss, dass er Russland im Rücken hat – und zeigt anhand der Ukraine, wozu Moskau bereit ist, um seine Nachbarn gefügig zu machen.
Die Strategie gehe auf, sagt Politologe Jauheni Preiherman: «Leute, die bei den Protesten vor fünf Jahren dachten, Lukaschenkos Macht bröckle, finden jetzt, der Gedanke war naiv. Putin hätte sich nie mit einer anderen Regierung in Belarus arrangiert.» Diese Leute hätten jetzt verstanden, inwiefern Russland das hiesige System mit seinen Interessen verbinde.
Lukaschenko ist nicht der Einzige, der seinem Volk faktisch mit russischen Bomben droht, sollten sie seine Herrschaft infrage stellen. In Georgien warnt die Regierung, auf einen Machtwechsel folge direkt ein zerstörerischer russischer Einmarsch. Und auch andere Autokraten verkaufen ihre Politik mit der Behauptung, nur sie verstünden sich mit Putin.
Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen, weil sie nicht unter russischer Besatzung leben wollen. Für Belarus, so denken viele in Minsk, ist es schon zu spät.