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Mord oder Feuergefecht? Trauerfeier für Al-Jazira-Reporterin Abu Akleh in Ramallah

Mehrere Tausend Menschen haben sich in Ramallah zu einer offiziellen Trauerfeier für die am Mittwoch im Westjordanland erschossene Al-Dschasira-Reporterin Shireen Abu Akleh versammelt. Die 51-jährige Palästinenserin kam während eines israelischen Militäreinsatzes in der Stadt Dschenin ums Leben. Durch die Kugel umstrittener Herkunft starb die berühmteste TV-Journalistin in der Konfliktregion, wie NZZ-Israel-Korrespondentin Inga Rogg sagt.

Inga Rogg

Journalistin

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Inga Rogg ist freie Journalistin in Jerusalem. Sie berichtete zunächst für die NZZ von 2003 bis 2012 aus Bagdad, dann bis 2019 aus Istanbul. Von 2019 bis 2023 war sie NZZ-Korrespondentin in Jerusalem. Seit Sommer 2023 arbeitet sie als freie Journalistin.

SRF News: Was ist bisher über die Täterschaft bekannt?

Inga Rogg: Zurzeit gibt es mehr Fragen als Antworten. Die israelische Armee dementierte zuerst und äusserte die Vermutung, palästinensische Terroristen steckten dahinter. Jene Journalisten, die mit Shireen Abu Akle unterwegs waren, sagten aber übereinstimmend, sie seien von israelischen Soldaten beschossen worden. Palästinensische Kämpfer habe es an der Stelle nicht gegeben, wo die Reporterin tödlich getroffen worden sei.

Der Nachrichtensender Al-Dschasira aus Katar wirft der israelischen Armee vor, auf diese Weise missliebige Berichterstattung zu verhindern. Was ist dran an diesem happigen Vorwurf?

Das ist ein sehr schwerer Vorwurf. Der Sender betont zugleich, Abu Akleh sei gezielt getötet – kaltblütig ermordet – worden. Grundsätzlich ist zu sagen, dass Israel die Pressefreiheit als sehr hohes Gut betrachtet und die kritische Berichterstattung auch von Al-Dschasira duldet. So kann man diesen Vorwurf also nicht einfach im Raum stehen lassen. Allerdings versuchten die israelische Regierung und auch die Armee, den Vorwurf völlig von sich zu weisen. Sie verbreiteten ein Video, das zeigen soll, dass die Kugel nur von palästinensischen Radikalen stammen könne. Das stellte sich im Verlauf des gestrigen Tages als nicht haltbar heraus.

Schirin Abu Akle.
Legende: Die palästinensische Ehrengarde trägt am 12. Mai 2022 die getötete Al-Jazira-Journalistin Shireen Abu Akleh zur letzten Ruhe. Keystone

Zudem werden in den besetzten Gebieten des Westjordanlands Journalistinnen und Journalisten tatsächlich immer wieder einmal behindert und auch angegriffen. Es gab verletzte Fotografen und immer wieder werden Zivilisten getötet. Die Rahmenbedingungen für Berichterstattung sind in der Region anders als in Israel.

Wie bekannt war Shireen Abu Akleh und warum?

Abu Akleh war ganz klar die berühmteste palästinensische Journalistin in der Konfliktregion. Sie arbeitete seit 25 Jahren für Al-Dschasira und berichtete über alle Konflikte in dieser Zeit. Immer an vorderster Stelle, etwa bei der zweiten Intifada oder in den Gaza-Kriegen.

Schirin Abu Akle.
Legende: Abu Akleh galt bei Kolleginnen und Kollegen als sehr mutig und grossherzig. Sie bildete auch viele junge Journalistinnen und Journalisten aus und hatte eine Vorbildfunktion gerade für junge Frauen in diesem Beruf. Keystone

Wie stehen die Chancen für eine Untersuchung, wie dies die USA und Frankreich, aber auch die UNO und die EU fordern?

Die israelische Armee kündigte eine Untersuchung an. Die Autonomiebehörde der Palästinenser führt ihre eigene Untersuchung. Weil Abu Akleh auch US-Staatsbürgerin war, schaltete sich im Hintergrund auch die US-Regierung ein und drängt Israel zu einer gemeinsamen Untersuchung mit der palästinensischen Autonomiebehörde.

Schirin Abu Akle
Legende: Trauernde trugen die Leiche von Shireen Abu Akleh am Mittwoch aus den Büros des TV-Senders Al-Dschasira in Ramallah, wo Freunde sowie Arbeitskolleginnen und -kollegen der Getöteten ihre Ehre erwiesen hatten. Keystone

Israels Verteidigungsminister Benny Gantz erklärte ausländischen Medien gestern Abend, man wisse momentan nicht eindeutig, von wessen Kugel die Reporterin getroffen worden sei.  Danach gab es offensichtlich Gespräche mit der Autonomiebehörde mit Blick auf eine gemeinsame Untersuchung. Ob es so weit kommt, ist abzuwarten. Die palästinensische Seite machte bereits deutlich, dass sie den Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen wolle.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

SRF 4 News, 12.05.2022, 07:40 Uhr ; 

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