Jetzt reicht es. Aus Sicht der USA scheinen die Angriffe, deren Täterschaft in Russland vermutet wird, ein Mass überstiegen zu haben, auf das man nicht mehr nur im Verborgenen – etwa mit Cyber-Verteidigung – reagieren kann. Nein, das Thema drängte an die Öffentlichkeit, war eines der Drängendsten des gestrigen Treffens der Präsidenten Putin und Biden in Genf.
Ich habe vorgeschlagen, gewisse kritische Infrastrukturen sollen tabu sein für Cyber-Attacken. Punkt. Tabu für Attacken aller Art.
Der US-Präsident sagte denn auch: «Ich habe vorgeschlagen, gewisse kritische Infrastrukturen sollen tabu sein für Cyber-Attacken. Punkt. Tabu für Attacken aller Art.»
Erst im Mai hat es eine Lebensader der USA getroffen, eine Pipeline. Die Betreiberfirma war mit einer Ransomware erpresst worden. Warteschlangen an Tankstellen waren die Folge. Die verdächtigen Täter: eine kriminelle Gruppe aus Russland.
Gegenseitige Beschuldigungen
Es war der jüngste einer ganzen Reihe von Angriffen, deren Hinterleute US-Behörden in Russland vermuteten. Wie weit diese mit dem Segen oder sogar, wie teils vermutet, sogar auf Anweisung der russischen Führung handelten, lässt sich unabhängig nicht verifizieren. Präsident Putin wies entsprechende Vorwürfe stets zurück. Und er betonte gestern in Genf, die meisten Cyber-Angriffe weltweit würden vom Gebiet der USA ausgehen.
Dem gestrigen Gipfel waren gegenseitige Beschuldigungen von Cyberattacken vorausgegangen, doch schienen sich Putin und Biden in einem Punkt gefunden zu haben: Das Thema Cybersecurity soll auf die Agenda einer gemeinsamen Arbeitsgruppe kommen.
Eskalation von Sabotage-Angriffen verhindern
Das scheint ein bescheidener Schritt zu sein. Aber immerhin. Das findet auch der Cybersecurity-Forscher Florian J. Egloff vom Center for Security Studies CSS der ETH Zürich. Es gebe durchaus Bereiche, in denen sich die Interessen der zwei Grossmächte auch im Cyber-Raum deckten, sagte er im Interview mit der «Tagesschau»: «Möglichkeiten gibt es insbesondere im Bereich der Cyber-Kriminalität, da hat man gemeinsame Interessen, da könnte man in gewissen Fällen auch zusammen kooperieren.»
Wenn die gemeinsame Arbeitsgruppe den ernstgemeinten Auftrag erhält, die Spannung im Cyber-Raum zumindest zu entschärfen, so könnten, wie von Biden gefordert, gewisse Tabuzonen definiert werden, etwa Energieversorgung, Gesundheitswesen, Verkehr, die Sicherheit der Atomwaffen. Das könne auch im Interesse Russlands sein – eine Eskalation fortwährender Sabotageangriffe und Gegenangriffe sei es kaum, so Egloff.
Wohl keine Eindämmung der Spionage
Man dürfe aber auch nicht zu hohe Erwartungen in eine entsprechende Übereinkunft setzen, sagt der Cybersecurity-Forscher. Bestimmt nicht einschränken lassen würden sich weder Russland noch die USA in einem Punkt: «Was eher nicht der Fall sein wird, wird eine Eindämmung der Spionagetätigkeit, gerade im Rüstungssektor, da werden sich beiden Seiten weiter gegenseitig ausspionieren.»
Denn: auch die USA nutzten den Cyberraum für ihre Interessen, sagt Egloff: «Die USA sind sehr aktiv im Spionagebereich, sie haben grosse Aufklärungsfähigkeiten, die sie in Russland auch einsetzen.» Russland nutze Cyber-Kapazität ebenfalls für Spionage, hinzu kämen Einflussnahmen sowie Störaktionen. «Und dann gibt es auch kriminelle Gruppierungen, die aus Russland heraus arbeiten, und das ist den Amerikanern ein Dorn im Auge.»
Was Cybersecurity angeht, so haben wir beschlossen, Gespräche zu beginnen. Meiner Meinung nach ist das sehr wichtig. Nur: Wer geht welche Verpflichtungen ein?
Wladimir Putin parierte in Genf zwar die Vorwürfe, zeigt sich aber auch kooperativ. So einige man sich auf die Absicht, eben jene Arbeitsgruppe zu gründen. «Was Cybersecurity angeht, so haben wir beschlossen, Gespräche zu beginnen. Meiner Meinung nach ist das sehr wichtig. Nur: Wer geht welche Verpflichtungen ein?», sagte Putin an seiner Pressekonferenz und traf damit wohl die Kernfrage.