Warum harzte es mit Schwedens Nato-Beitritt? Gut ein Jahr lang blockierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das Vorhaben. Mal stellte er sich mit Furor gegen die Erweiterung des westlichen Militärbündnisses, weil Schweden nicht genug gegen «Terrororganisationen» im eigenen Land unternehme. Dann wieder liess er das Fenster für Schwedens Nato-Beitritt einen Spalt weit offen. Um schliesslich mit einem Nein im Gepäck zum Nato-Gipfel in Vilnius anzureisen.
Am Montagabend die überraschende Kehrtwende: Der türkische Präsident gab grünes Licht für das letzte Puzzleteil der Nato-Norderweiterung.
Welche Rolle spielte das Thema EU? Zuerst hatte der türkische Präsident seine Zustimmung noch davon abhängig machen wollen, dass die Beitrittsverhandlungen mit der EU wieder aufgenommen werden. Mit dieser Forderung ging er aber offensichtlich zu weit. Die EU hatte bereits 2005 mit der Türkei Beitrittsgespräche begonnen. Diese wurden allerdings vor einigen Jahren wieder auf Eis gelegt, weil Brüssel inakzeptable Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit sah.
Warum lenkte Erdogan ein? Ende Mai wurde Erdogan als Präsident bestätigt. Im Wahlkampf sei der Nato-Streit um Schweden für Erdogan wie ein «Geschenk auf dem Silbertablett» gewesen, sagt SRF-Auslandredaktor Philipp Scholkmann. «Der Streit illustriert fast idealtypisch Erdogans wichtigste Botschaft an seine Wählerbasis: Er ist der Garant für eine starke und unabhängige Türkei, die sich nicht herumkommandieren lässt – schon gar nicht vom Westen.» Nun ist das Wahlkampfgetöse vorbei, die Zeit für einen aussenpolitischen Neustart reif. «Und Erdogan hat gesehen, dass er in diesem Nato-Poker das Maximum herausgeholt hat.»
Welche Gegenleistung bekommt die Türkei? Erdogan hat für seine Zustimmung viel bekommen. So hat die schwedische Regierung zugesichert, härter gegen kurdische Untergrundorganisationen im Land vorzugehen. In Sachen EU sagte Stockholm immerhin zu, sich für eine europäische Perspektive für die Türkei zu engagieren. «Am Schluss war Schweden aber nur noch ein Nebenschauplatz für Erdogan», schätzt Scholkmann. «Sein Blick ging nach Washington. Denn dort klemmte ein Waffengeschäft, das ihm sehr wichtig ist: die Modernisierung der F16-Flieger für die Türkei.» Ebendiese Blockade scheint nun gebrochen.
Welchen Stellenwert hat der Nato-Beitritt für Schweden? Einen Plan B gab es für Schweden nicht. «Ohne den Nato-Beitritt wäre ein weisser Fleck im Norden und an der Ostsee entstanden», erklärt SRF-Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann. In eine Art Sicherheitsvakuum zu treten, war keine Option. Zudem hat Schweden schon seit Jahrzehnten eine Verteidigungsallianz mit seinen nordischen Nachbarn angestrebt. Als Konsequenz des russischen Angriffskriegs in der Ukraine werden sie nun geschlossen Teil der Nato. «In Nordeuropa beginnt eine neue Zeitrechnung», schliesst Kaufmann.