Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der 31 Nato-Staaten kommenden Dienstag und Mittwoch zum Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius treffen, können sie auf ein spektakuläres Comeback des Nordatlantikpakts zurückblicken. Noch vor wenigen Jahren bezeichneten die Präsidenten Frankreichs und der USA die Nato als «hirntot» und «überflüssig».
Heute ist sie das wichtigste Bündnis zur Unterstützung der Ukraine. Trotzdem steht die Nato in Vilnius vor schwierigen Fragen. SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck erklärt, warum sogar eine Blamage nicht ausgeschlossen ist.
Wird die Nato die Ukraine als Mitglied aufnehmen?
Nein. Auch wenn der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski die Aufnahme seines Landes in die Nato möchte. Zumal die Ukraine dort Anrecht hätte auf militärischen Beistand, gestützt auf Artikel 5 des Nato-Vertrags. Das heisst: Die Nato müsste an der Seite der Ukraine in den Krieg gegen Russland eintreten. Das aber will die Nato nicht. Und viele Mitgliedstaaten wären selbst nach einem Ende dieses Kriegs gegen eine Ukraine in der Nato. Der Streit über die Aufnahme überschattete nämlich bereits den Nato-Gipfel 2008 in Bukarest. Damals wurde der Ukraine die Mitgliedschaft vage in Aussicht gestellt, aber nicht konkret angeboten. Meines Erachtens ein fataler Weder-noch-Entscheid, der zum Ukraine-Krieg geführt hat.
Was wird die Nato der Ukraine stattdessen anbieten?
Die Ukraine fordert als Alternative zur Nato-Mitgliedschaft andere Sicherheitsgarantien. Wie sich diese von der Pflicht zum Artikel 5 unterscheiden würden, ist aber unklar. Worauf die Ukraine zählen kann, sind weitere Waffen, um sich selbst zu verteidigen. Die USA als mächtigster Nato-Staat werden ihr künftig auch Streumunition zur Verfügung stellen – mit dem Hinweis darauf, dass Russland diese Art von Munition ebenfalls einsetze. Der Entscheid stösst aber auf Kritik anderer Nato-Staaten, die Streumunition zum Schutz der Zivilbevölkerung verboten haben.
Wie geht es mit Schweden weiter?
Auch Schweden will aus Angst vor Russland Nato-Mitglied werden. Die Aufnahme des während 200 Jahren neutralen Staates wäre ein weiterer Beweis für die Attraktivität des Verteidigungsbündnisses. Doch das Nato-Mitglied Türkei wirft Schweden vor, zu wenig energisch gegen Terrorismus vorzugehen. Mit Spannung wird ein Treffen des schwedischen Regierungschefs Ulf Kristersson mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Vilnius erwartet – am Montagabend, wenige Stunden vor Beginn des eigentlichen Gipfels. Ein Durchbruch ist eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
Wie steht es um die Verteidigungsfähigkeit der Nato?
Während die Medien vor allem über die Ukraine und Schweden berichten, erachten Insider einen anderen Tagesordnungspunkt als mindestens so wichtig: die Überarbeitung der geheimen Verteidigungspläne, in denen die Nato festgelegt hat, wie sie auf einen Angriff reagieren würde. Offenbar blockiert die Türkei bisher Entscheide, zum Ärger der anderen Nato-Staaten. Sollten die Verteidigungspläne tatsächlich nicht verabschiedet werden, wäre das eine Blamage.