Was wurden in den vergangenen Monaten nicht alles für Namen genannt: jene von Regierungschefinnen und Präsidenten, von Ex- und Vize-Premiers, von Verteidigungsministern und sogar jener der EU-Kommissionspräsidentin. Etlichen von ihnen wäre das Amt des Nato-Generalsekretärs oder erstmals der Generalsekretärin durchaus zuzutrauen gewesen.
Doch einmal stimmte die Herkunftsregion nicht. Ein andermal war jemand zu sehr Falke oder zu sehr Taube gegenüber Russland. Mal übte eine Kandidatin oder ein Kandidat noch nie das Amt eines Regierungschefs oder einer Präsidentin aus, was seit einiger Zeit als Voraussetzung gilt für den Nato-Chefposten.
Allen Leuten Recht getan...
Dazu kommt: Mit der wieder gewachsenen Bedeutung der Nato seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, mit der entsprechend hohen medialen Sichtbarkeit ist der Generalsekretär heute bedeutender als in früheren Jahren – was die Stellenbesetzung nicht einfacher macht.
Niemand von all jenen, die ins Spiel gebracht wurden oder sich selber ins Spiel brachten, passte allen 31 Mitgliedsländern. Da in der Nato das Konsensprinzip gilt, war das ein Problem. Zumal einzelne Staaten mit ihrem Veto eine Wahl verhindern und die Atmosphäre vergiften können, wie das die Türkei und Ungarn momentan mit ihrem Widerstand gegen den schwedischen Nato-Beitritt tun.
... ist eine Kunst, die niemand kann
So fanden am Ende die meisten, es sei jetzt gewiss nicht der Moment, quälende Nachfolgediskussionen zu führen und damit den bevorstehenden wichtigen Nato-Gipfel kommende Woche in Vilnius zusätzlich zu befrachten. Dort warten ohnehin schon schwierige Geschäfte. Der Entscheidungsunwille in der Personalfrage ist indes kein Ruhmesblatt für die Nato. Er widerspricht der Entschlossenheit und Geschlossenheit, welche die Allianz stets nach aussen ausstrahlen will.
Es bleibt nun also beim pflichtbewussten Jens Stoltenberg, der bekniet wurde, ein weiteres Jahr zu amtieren, obschon er gerne ins heimatliche Norwegen zurückgekehrt wäre. Immerhin ist Stoltenberg zuzutrauen, seine Aufgabe weiterhin engagiert zu erfüllen.
Problem vertagt, aber nicht gelöst
Er ist entschieden mehr als eine Verlegenheitslösung. Solide, oft gar staubtrocken, jedoch äusserst glaubwürdig. Er kommt mit allen Nato-Staats- und Regierungschefs einigermassen klar, selbst mit aufgeplusterten wie einst Donald Trump und heute Victor Orban und Recep Tayyip Erdogan. Der Sozialdemokrat, der in seiner Jugend an Friedensdemonstrationen teilnahm, ist kein Scharfmacher, kein Weichgespülter und kein Wendehals. Die Nato weiss, was sie an ihm hat. Und er ist nach breiter Überzeugung das, was sie in den jetzigen anforderungsreichen Zeiten braucht.
Allerdings: Im Herbst 2024 läuft auch die nochmals verlängerte Amtszeit von Jens Stoltenberg aus. Ewig kann die Nato der Nachfolgedebatte nicht ausweichen. Selbst wenn die Zeiten auch dann noch ungünstig sind, wovon auszugehen ist.