Niemand ist unersetzlich. Doch bei manchen ist es etwas schwieriger. Deshalb ist Jens Stoltenberg schon länger im Amt als alle seine Vorgänger – bis auf einen. Dabei ist der bald 64-jährige Norweger keine besonders auffällige Figur. Markige Worte sind von ihm selten zu hören. Auf heikle Fragen antwortet er oft wortgleich, was er bereits vorher viele Male gesagt hat.
Ein austrittswilliger US-Präsident
Doch Stoltenberg ist verlässlich, glaubwürdig und diplomatisch geschickt. Sein Meisterstück gelang ihm, als US-Präsident Donald Trump dem Bündnis den Rücken kehren wollte. Es sei unstatthaft, so Trump, dass die USA so viel für die Nato zahlten und viele Europäer so wenig: «Was gedenken Sie, dagegen zu tun?», fragte er Stoltenberg.
Der machte Bückling um Bückling und beteuerte: «Viele europäische Länder zahlen nun mehr – dank Ihrer Forderungen.» Trump liess nicht locker und hakte nach: «Warum tun sie das gerade jetzt?» Stoltenberg verneigte sich verbal erneut: «Es passiert dank ihrer Führungsstärke.» Stoltenberg packte den Amerikaner also bei dessen Eitelkeit und brachte ihn von Austrittsplänen ab. Trump stand plötzlich hinter Stoltenberg und sogar halbwegs hinter der Nato.
Der «hirntot»-Vorwurf von Macron
Geschickt schaffte er es auch, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron wieder einzufangen, der die Nato als «hirntot» bezeichnet hatte. Der Franzose habe, so Stoltenberg, eine ganz wichtige Debatte angestossen. Damit stimmte er Macron wieder milde: «Dank Generalsekretär Stoltenberg hat die Allianz nun zur EU ein engeres Verhältnis und denkt vertieft über die strategische Ausrichtung nach.»
Ein Nato-Generalsekretär ist oft mehr Sekretär als General. Zudem eine Art Flohhüter. Wenn er jeweils betont, die Alliierten hätten gemeinsam dies oder jenes beschlossen, muss er oft kaschieren, dass sich längst nicht alle 30 Mitglieder einig sind. Mit Trumps Nachfolger Joe Biden ist das Verhältnis entspannter. Man versteht und schätzt einander.
Schweden und Finnland bereit
Ein grosses Ziel dürfte Stoltenberg vor seinem Abgang noch haben. Nämlich den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands zu verwirklichen. Dazu muss er die blockierende Türkei auf Kurs bringen. Unermüdlich betont er deshalb, welch bedeutender Alliierter die Türkei sei. Auch hier Verbeugungen um der Sache willen.
Angesichts der weltpolitischen Spannungen und von Russlands Krieg gegen die Ukraine würden es wohl die meisten begrüssen, wenn Jens Stoltenberg bliebe. Der Sozialdemokrat, der als Jugendlicher gegen die Nato demonstriert hatte, ist zu einem ihrer besten und erfolgreichsten Generalsekretäre geworden. Eine mühsame Nachfolgedebatte möchten sich gerade jetzt viele ersparen.
«Europa und Nordamerika gehören zusammen
Doch diesmal scheint es dem Norweger ernst mit dem Abgang. Seinem Nachfolger oder seiner – was diesmal gut möglich ist – Nachfolgerin gibt er mit auf den Weg: «Europa und Nordamerika gehören zusammen. Europa allein, Nordamerika allein – das ist nicht die Lösung. Die Lösung ist die Nato.» Auch hier also eine Selbstverständlichkeit, die er schon viele Male zuvor kundgetan hat.