Nirgendwo in Europa gibt es so viele unverbaute, wilde Flüsse wie auf dem Balkan. Aber dieser Schatz der Natur ist in Gefahr. Von Slowenien bis nach Griechenland sind gegen 3000 Wasserkraftwerke geplant. Grund ist die missratene Förderung erneuerbarer Energie.
Der Fluss Vjosa im Süden Albaniens ist wohl der grösste Fluss Europas, der auf seiner ganzen Strecke noch wild ist, von den Quellen in Griechenland bis hinunter zur Adria auf 270 Kilometer Länge. Im Oberlauf windet sich die Vjosa durch gebirgige Schluchten, weiter unten hat sie in einem breiten Tal faszinierende Mäanderlandschaften geformt.
Zwei Wasserkraftwerk-Projekte gefährden jetzt aber diese Naturwunder. «Werden die Dämme gebaut, versinkt die einzigartige Landschaft in einem 30 Kilometer langen und 50 Meter tiefen Stausee», sagt Olsi Nika, Direktor der Umweltorganisation EcoAlbania. Er setzt sich dafür ein, dass die Vjosa geschützt wird und dass Albaniens Regierung das Tal zum Nationalpark erklärt.
«Die zwei geplanten Wasserkraftwerke sollten zusammen eine Leistung von 200MW erbringen. Würde Albanien aber die vorhandene Elektrizität nicht verschwenden, sondern effizient nutzen, könnte es das Zwei- bis Dreifache herausholen,» sagt Nika. Er weist darauf hin, dass Albanien schon jetzt 100 Prozent seiner Energie aus Wasserkraft herstellt und dringend diversifizieren sollte. Wegen der Klimaerwärmung drohen längere Dürreperioden, und damit ist die Wasserkraft nicht mehr so zuverlässig.
Fatale Folgen für Forellen
Auch die grosse Artenvielfalt an der Vjosa ist gefährdet. 10 Prozent der Arten hier gelten als selten oder kommen nur in Albanien vor. Darunter sind seltene Spinnen-, Fledermaus- und Vogel-Arten. Die Dämme hätten auch fatale Folgen für viele Forellen-Arten und vor allem für Aale, die in grosser Zahl jedes Jahr von den Brutstätten im Atlantik in den Heimatfluss ihrer Vorfahren zurückkehren.
Im Dorf Anë Vjosë ist der Bauer Idajet Zotaj zuhause. Wenn das Kraftwerk gebaut wird, werden sein Haus und alle seine Felder überflutet. Zusammen mit den anderen Dorfbewohnern will sich Zotaj gegen das Projekt wehren. Es gebe nirgendwo sonst für ihn eine Zukunft. Kein Preis sei hoch genug für sein Land, schon gar nicht der eine Euro pro Quadratmeter, von dem jetzt die Rede ist.
Zotaj hat von den Bewohnern des Valbonatals im Norden Albaniens gehört. Dort vermieten viele Leute Zimmer und leben von einem sanften Tourismus in einer unversehrten Landschaft. Die gleiche Möglichkeit besteht auch hier an der Vjosa, aber nur wenn das Tal intakt bleibt.
Zotaj glaubt, dass es möglich ist, das Tal vor den zwei Staudämmen zu retten. Der Bau des unteren wurde nämlich bereits sistiert. Ein Gericht gab der Klage von Kraftwerksgegnern recht. Diese hatten festgestellt, dass der türkische Investor gemogelt hatte. Anstatt die betroffene Bevölkerung zu befragen, liess er die Angestellten einer weiter weg gelegenen Gemeinde zu einer Schein-Anhörung aufbieten. Zudem reichte der Investor ein Gutachten zur Umweltverträglichkeit ein, das im Copy&Paste-Verfahren erstellt wurde. Der grösste Teil des Textes stammte aus anderen Gutachten und hatte mit dem Dammbau an der Vjosa gar nichts zu tun.
Investoren geben sich Mühe
Beim oberen Damm will der Investor jetzt nicht noch einmal die gleichen Fehler machen. Im Dorf Anë Vjosë organisiert er eine ordentliche Anhörung. Bei Zotaj und den anderen Bewohnern stösst er aber auf lauten Widerstand. Ausser dem Dorf-Chef will sich niemand in der Präsenzliste eintragen. Sie wollen nicht, dass ihre Unterschrift als Einverständnis interpretiert wird.
Das Staudammprojekt an der Vjosa ist nur eines von sehr vielen. Insgesamt sind auf dem Balkan gegen 3000 Wasserkraftwerke geplant. Im Rahmen der Aktion »Rettet das blaue Herz Europas« hat eine Gruppe von Umweltorganisationen eine Übersicht erarbeitet. Die Karte zeigt, dass kaum ein Flusslauf verschont bleibt.
Viele Projekte liegen in Nationalparks
Cornelia Wieser von der österreichischen Organisation Riverwatch sagt, dass 80 Prozent der Wasserläufe auf dem Balkan noch in gutem oder sehr gutem Zustand seien und daher geschützt werden müssten. Für Kraftwerksbauten sollten das Tabu-Zonen sein. Aber der Kraftwerksbau mache nicht einmal vor bestehenden Schutzgebieten halt. 40 Prozent der Projekte befänden sich in Nationalparks und anderen Schutzgebieten, sagt Wieser.
Die Kraftwerkbauwut auf dem Balkan hat ihren Grund in der europäischen Energiepolitik. Deren Ziele gelten auch für jene Länder, die erst noch Mitglied werden wollen. Im Sinn des Klimaschutzes hat die EU Mindestmengen an erneuerbarer Energie festgelegt und dafür Subventionen vorgesehen. Die Konsumenten bezahlen auf ihrem Energieverbrauch einen Aufschlag, der dann an die Produzenten erneuerbarer Energie weitergegeben wird, damit diese ihren Strom zu gesicherten Preisen verkaufen können.
Korruption führt EU-System ad absurdum
Auf dem Balkan zieht dieses lukrative und risikofreie Geschäft aber Leute an, die am schnellen und mühelosen Geld interessiert sind. Sie haben ein leichtes Spiel, weil hier Korruption weit verbreitet ist und weil Richter und Staatsanwälte oftmals nach der Pfeife von Politikern und Oligarchen tanzen.
26 Umweltorganisationen vom Balkan haben letztes Jahr die EU auf die negativen Folgen ihrer Energiepolitik auf ihre Länder aufmerksam gemacht. Die Antwort von EU-Erweiterungs-Kommissar Johannes Hahn war ernüchternd. Er schrieb, die EU-Kommission teile die Besorgnis über die Folgen einer nicht-nachhaltigen Entwicklung der Wasserenergie, aber sie habe keine Befugnis, den Balkanländern vom Bau von Wasserkraftwerken abzuraten.
Kleine Kraftwerke machen die grössten Schäden
Bei den zwielichtigen Bewilligungsverfahren auf dem Balkan wurden besonders viele Konzessionen für Kleinwasserkraftwerke erteilt. Rund 90 Prozent der insgesamt 3000 Projekte gehören zu dieser Kategorie. Obwohl sie nur gerade 4 Prozent der zusätzlichen Energie liefern sollen, werden sie den grössten Schaden an den Wasserläufen anrichten.
Ein typisches Kleinkraftwerk ist im Norden Montenegros in der Nähe der Stadt Berane zu finden. Bis vor kurzem floss der Wildbach Šekularska ungestört durch ein tiefes Tobel in einer bewaldeten Hügellandschaft. Jetzt ist er fast auf seiner ganzen Länge in Rohre verlegt. Bulldozer haben den Talboden aufgerissen, damit die Rohre neben dem ursprünglichen Bachbett unter einer neuen Asphaltstrasse verlegt werden konnten. Unterwegs bis zum Talausgang führen die Rohre das Wasser viermal durch kleine Turbinenhäuser, wo Strom erzeugt wird.
Es gibt Vorschriften, aber...
Der ehemalige Lehrer Blagoje Šarić ist wütend. Jetzt im Frühling fliesse wegen der Schneeschmelze noch ein wenig Wasser im Bachbett, im Sommer aber bleibe kein Tropfen übrig. »Früher haben wir hier Forellen gefangen, jetzt finden Sie vielleicht noch eine Kaulquappe und die Felder unten am Talausgang bleiben trocken«, sagt Šarić. Theoretisch gebe es Vorschriften über Restwassermengen, aber die würden von den Behörden nicht kontrolliert und noch weniger eingefordert.
Die montenegrinische Nichtregierungs-Organisation MANS ging den Korruptionsvorwürfen rund um die Lizenzen für Kleinkraftwerke nach. Aufgrund ihrer Recherchen publizierte sie eine Grafik. In einem engen Kreis um Staatspräsident Milo Djukanovic herum stehen da beispielsweise einer seiner Söhne, ein Pate, ein Freund und ein Geschäftspartner. Sie alle wurden mit Kraftwerklizenzen ausgestattet.
Falsche Anreize aus der EU
Der oppositionelle Energie-Experte Dejan Mijović sagt, es gebe Alternativen. Solarenergie könne heute in Montenegro kostendeckend betrieben werden. Ljubo Knežević, der Energie-Berater des Regierungschefs, stimmt zu, betont aber, dass man das vor zehn Jahren nicht habe voraussehen können. Aufgrund der neuen Lage habe die Regierung inzwischen beschlossen, keine weiteren Konzessionen zu erteilen. Jene für die 50 Projekte, die noch hängig sind, könne man aber nicht mehr zurückziehen.
Das Beispiel Montenegro zeigt es: die Länder des Balkans hätten eine Alternative, sie bräuchten ihre unversehrten Wasser- und Flussläufe nicht zu zerstören. Sie müsste dafür aber eine zehn Jahre alte Planung über den Haufen werfen und die Anreize anders setzen. Das wird aber schwierig sein, solange ein Subventionssystem in Kraft ist, das gewieften Geschäftsleuten sichere Gewinne garantiert.