Als Wirtschaftsstandort hat Russland nicht den besten Ruf. Abhängig von Öl und Gas, wenig innovativ, geplagt von Korruption und Bürokratie – das sind die gängigen Stereotypen, wenn von Russlands Wirtschaft die Rede ist.
Es wäre nichts für mich, faul an der Côte d'Azur rumzuliegen.
Es gibt aber auch Gegenbeispiele, Andrej Trubnikow etwa. Der Unternehmer produziert Naturkosmetik: Öko-Shampoos, Duschgels und Antifaltencremes. «Natura Siberica» heisst sein Marke – und mit ihr will Trubnikow jetzt die Welt erobern.
Eine getrocknete Kröte als Talisman
Der 60-jährige Russe sieht nicht so aus, wie man sich den Leiter eines Kosmetik-Konzerns vorstellt. Den Kopf kahl rasiert, über den runden Bauch spannt sich ein blauer Pullover mit einem Totenkopf drauf. Und an Trubnikows Brust baumelt eine getrocknete Kröte. Als Talisman.
Beim Interview in seinem Büro im Süden von Moskau sagt der Unternehmer: «Es wäre nichts für mich, einfach Öl aus dem Boden zu pumpen und faul an der Côte d'Azur herumzuliegen. Ich mache lieber schwierige Projekte, so richtig komplizierte Projekte.»
Von Öl und Gas, den wichtigsten russischen Exportprodukten, will Trubnikow nichts wissen. Er ist an feineren Stoffen interessiert. An Rosenwurz. An Sanddorn. Oder Geranium Sibiricum, dem Sibirischen Storchenschnabel.
Da dachte ich: Wieso produziere ich sowas nicht einfach hier, in Russland?
Solche Pflanzen, Beeren und Kräuter lässt er in den Weiten Sibiriens sammeln respektive in eigenen Bio-Farmen züchten. Die Rohstoffe verwandelt er dann in Schönheitsprodukte. «Alles ohne schädliche Chemie», versichert Trubnikow.
Tausende Fläschchen
Sein Büro sieht aus wie eine Wunderkiste. Bis an die Decke reichen Regale, auf denen tausende Fläschchen stehen: Kosmetik-Produkte der Konkurrenz, die der «Natura-Siberica»-Chef von seinen Reisen mitgebracht hat. Mehrere Koffer voll Cremes, Lotionen und anderen Schönheitswässerchen stehen noch herum – der Unternehmer hatte noch keine Zeit, sie auszupacken.
An einer Wand des Chefbüros prangt der Schriftzug «We crazy Russians» in gelber Farbe. Was bedeutet das, Herr Trubnikow? «Ach, da war ich mal betrunken, da habe ich zur Spraydose gegriffen.»
So originell, ja kauzig, der Unternehmer wirkt, so instinktsicher ist er, wenn es ums Geschäft geht. Auf die Idee mit der Natur-Kosmetik kam Trubnikow, weil früher viele Russen kofferweise Natur-Kosmetik aus dem Ausland angeschleppt hätten. «Da dachte ich: Wieso produziere ich sowas nicht einfach hier, in Russland?»
Kein Erfolg mit Wodka
In den 1990er-Jahren hatte sich Trubnikow als Wodka-Produzent versucht, doch er ging pleite. Dann kaufte er eine Fabrik für Geschirrspülmittel und sattelte später auf günstiges Shampoo um. 2008 schliesslich gründete er die Bio-Marke «Natura Siberica». Inzwischen betreibt er im ganzen Land über drei Dutzend Kosmetik-Boutiquen, seine Produkte gibt es in vielen russischen Supermärkten zu kaufen.
Trubnikow macht mit seinem Kosmetik-Konglomerat – das neben «Natura Siberica» auch noch einige andere Marken umfasst – einen Jahresumsatz von fast 200 Millionen Franken.
Mehr als ein Laden
Der Flagship-Store des Unternehmens liegt an der noblen Twerskaja-Strasse in Moskau. Das hier ist mehr als ein Verkaufsgeschäft. Es ist ein Schönheits-Erlebnisland.
Eine junge Mitarbeiterin mischt ein handgemachtes Duschgel. Zedernöl, Leinöl, Moosbeeren-Essenz. Die Kundinnen dürfen wählen, was sie sich für Inhaltsstoffe wünschen. Naturnah und exklusiv kommt das Produkt daher.
Dazu eine gehörige Portion Ethno-Schick im ganzen Laden. Eine Verkäuferin trägt eine Tracht aus Sibirien, das Marken-Logo erinnert an einen Schamanen-Kreis. «Natura Siberica» versucht gar nicht, eine westliche Marke zu imitieren, «Natura Siberica» ist russisch und stolz darauf.
Im Büro-Komplex am Moskauer Stadtrand erklärt Firmengründer Trubnikow seine Marke passe zum Zeitgeist. In der Schweiz würde man von «Swissness» reden. Seine Sache ist «Russianness».
«Putin hat etwas verändert»
Über den russischen Präsidenten Wladimir Putin verliert er kein schlechtes Wort. «Putin hat etwas verändert in den Köpfen der Russen. Nach der Geschichte mit der Krim sind die Leute patriotischer geworden. Sie haben auch angefangen, sich mehr für russische Kosmetik zu interessieren. Das hat uns geholfen.»
Trubnikow selbst jedoch will mit Politik nichts zu tun haben. Er ist Geschäftsmann – und offen gegenüber der Welt. Seine Produkte lässt er mit europäischen Zertifikaten versehen, etwa dem französischen EcoZert. Dazu kommt eine aktive Expansionsstrategie. Bereits jetzt exportiert Trubnikow seine Kosmetik in zahlreiche Länder.
Ich will eine Weltmarke gründen.
In Spanien, Frankreich, Grossbritannien, und in geringem Ausmass auch in der Schweiz, gibt es «Natura Siberica» Produkte zu kaufen. Mancherorts hat der russische Kosmetik-Konzern schon eigene Shops eröffnet, in Griechenland etwa oder in Dänemark. Trubnikows nächstes Ziel ist es, mit seinen Cremes und Shampoos Südamerika zu erobern – und von dort die USA. «Ich will eine Weltmarke gründen», sagt Trubnikow nicht unbescheiden.
Der russische Markt ist schwierig
Aber auf die Frage, was ihn antreibt, und ob der russische Markt zu eng geworden ist, gibt er keine klare Antwort. Er habe Spass an seiner Arbeit, sagt er. Überall auf der Welt gebe es Hindernisse, wenn einer Geschäfte mache. Auch Korruption sei ein weltweites Phänomen. Aber, ja, der russische Markt sei schwierig. Der Staat spiele eine immer grössere Rolle in der Wirtschaft. Und der Staat bringe selten was Gutes.
Andrej Trubnikow ist eine Ausnahmeerscheinung in der russischen Geschäftswelt. Russische Supermärkte sind voll mit italienischer Pasta, deutschen Haushaltsreinigern, französischen Sonnencremes. Selbst die kleine Schweiz ist präsent mit ihren Produkten: In einer Moskauer Ladenkette kann man Kaffee, Kekse – ja sogar Toilettenpapier «Made in Switzerland» kaufen.
Solche Exporterfolge kann die russische Konsumgüter-Industrie nicht verbuchen. Sie bleibt unterentwickelt – aus strukturellen Gründen. In einem Land, in dem sich mit Öl und Gas unheimlich viel Geld verdienen lässt, gibt es wenig Anreiz, sich um das mühsame Klein-Klein irgendeines Industrieprodukts zu kümmern. Dazu kommen ein raues Geschäftsklima, mangelnde Rechtssicherheit und Korruption.
Und etwas überirdische Hilfe
Unternehmer zu sein in Russland ist schwer. Ausser, man ist ein Typ wie Andrej Trubnikow: zielstrebig, kreativ, hartnäckig.
Und: Die getrocknete Kröte, die Trubnikow um den Hals trägt, hat eine kleine Tasche eingenäht. Der Unternehmer öffnet den Krötenbauch und zieht einen Glücksbringer nach dem anderen heraus. Etwas überirdische Hilfe schadet ebenfalls nicht, wenn man in Russland ein Geschäft betreibt.