SRF: Wie oft hören Sie den Satz: «Ich glaube nicht an den Klimawandel»?
Bruno Oberle: Eigentlich fast nicht mehr. Kürzlich erst ist ja klar geworden, dass Zweifel am Klimawandel auch dadurch genährt wurden, dass involvierte Firmen bewusst gelogen und Untersuchungen gefälscht hatten – wie früher die Tabakfirmen. Das könnte nun die kritisierte Exxon teuer zu stehen kommen.
Und wie antworten Sie darauf?
Klimaerwärmung ist mittlerweile eigentlich eine alltägliche Erfahrung – wir können deutlich beobachten, wie sich die Durchschnittstemperaturen erhöhen, Trockenheitsperioden und Stürme häufen, Pflanzen früher blühen oder die Zugvögel nach dem Winter früher zurückkommen. Es gibt auch langsamere Phänomene: In den Bergen muss man beispielsweise höher und höher steigen, um im Sommer noch gefrorenen Boden zu finden. Der so genannte Permafrost schmilzt ab.
Und welcher Anteil hat der Mensch daran?
Es gibt auch natürliche CO2-Emmissionen. Solche Prozesse haben schon immer Klimagase produziert: Sümpfe entlassen klimawirksames Methan in die Luft und Tiere atmeten schon immer CO2 aus. Diese Emissionen standen aber im Gleichgewicht mit anderen natürlichen Prozessen wie der Sauerstoffproduktion der Pflanzen. Auch hat die Natur sehr viel Kohlenstoff vor langer Zeit aus dem Verkehr gezogen – indem es ihn als Kohle und Erdöl unter der Erde eingelagert hat. Was die Natur nicht macht, wir aber heute tun, ist, diese Reserven aus dem «Keller» zu holen und sie in kurzer Zeit zu verbrennen. Damit hat der Mensch das System aus dem Gleichgewicht gebracht.
Menschen für diese Bedrohung zu sensibilisieren, ist schwierig. Woran liegt das?
Gemessen an der Erdgeschichte ist der Klimawandel ein sehr schneller Prozess. In wenigen Jahrzehnten wird durch die Erwärmung eine neue Realität geschaffen. Der Mensch lebt aber nur kurz, so dass einige Jahrzehnte für ihn bereits das Leben darstellen. Deswegen schleicht sich die Klimaerwärmung so quasi in unseren Erfahrungsschatz ein, denn wir haben ja keinen Vergleich mehr, wie es früher einmal war. Dann werden wir eines Tages feststellen, dass Mailand am Meer liegt und dass auf dem ganzen Planteten nirgendwo mehr Eis liegt.
Haben Sie eine Strategie dagegen?
Nein, sich ein realistisches Bild der Zukunft zu machen ist für uns Menschen schwierig. Es erfordert viel Vorstellungskraft. Vielleicht kann die Kunst, kann das Kino helfen zu veranschaulichen. Wir können einfach regelmässig informieren.
In der Schweiz wird das Thema bisher praktisch ausschliesslich mit schwindenden Gletschern und Schneemangel illustriert. Das berührt dann allenfalls Touristiker, Bergsteiger und Wintersportler. Wird die globale Herausforderung des Klimawandels nicht einfach unterschätzt?
Es ist nicht unsere Aufgabe, die Leute zu ängstigen. Aber wenn Sie so ausdrücklich fragen, nenne ich Ihnen ein paar Beispiele: Neue Krankheiten werden ins Land kommen, weil es wärmer und feuchter sein wird. Menschen aus Gebieten, die nicht mehr genügend zum Überleben bieten, werden migrieren. Die Kornkammern der Welt – die USA, Frankreich und die Ukraine – werden unter Druck geraten.
Die Schweiz hat an der UNO-Klimakonferenz bisher zwar 50 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 versprochen, davon allerdings nur 20 Prozent hausgemacht. Den Rest will sie bei Entwicklungsländern «einkaufen», die selber nach Mobilität und Wachstum streben. Ist das nicht unfair?
Nein, es sind national 30 Prozent Reduktion, die wir erreichen wollen. Es ist schwierig, in kurzer Zeit mehr als das zu machen, denn Häuser müssen umgebaut, Fahrzeuge ersetzt, industrielle Prozesse angepasst werden. Es macht mehr Sinn, diese Modernisierung der Schweiz in einem realistischen Tempo voranzutreiben, und das, was wir zusätzlich machen müssen, im Ausland einzukaufen. Dort lösen diese Einkäufe ebenfalls Veränderungsprozesse aus und unterstützen den dort beginnenden Wandel zu weniger CO2-Emissionen. Wir gehen davon aus, dass wir, wenn das Reduktionspotenzial dann auch in jenen Ländern knapp werden wird, unsere Aufgaben im eigenen Land hoffentlich abgeschlossen haben werden.
Die Schweiz hat seit 1990 gerade mal ein paar wenige Prozent Emissionen reduziert. Das ist deutlich weniger als Deutschland, Schweden, Frankreich oder die EU15 Staaten. Woran hapert es?
Wir haben in der Schweiz bis 2012 um drei Prozent reduziert. Ja, wir sind langsamer als unsere Nachbarn, wir emittierten aber pro Kopf von Anfang an viel weniger. Halb so viel wie Deutschland in den 1990er Jahren. Daher ist es in der Schweiz schwieriger, Einsparungen zu machen, und wir haben fairerweise auch weniger zu tun. Das Ziel ist, in allen Ländern in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts auf etwa eine Tonne CO2-Emission pro Kopf und Jahr zu gelangen.
Am 30. November beginnt in Paris die «COP21»: Der Name sagt es, es ist die Nummer 21 in einer unendlich lang scheinenden Reihe von UN-Klimakonferenzen, die 1995 in Berlin begann. Welche Ideen werden da neu eingebracht werden?
Es geht eben darum, nicht weniger als 7 Milliarden Menschen, 200 Staaten und Reiche und Arme aus verschiedenen Kulturkreisen auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Das braucht seine Zeit. In Paris werden wir eine Altlast loswerden: die Vorstellung, dass die Industrieländer allein die Klimaerwärmung aufhalten können. Es ist mittlerweile klar, dass das Ziel nicht zu erreichen ist, wenn nicht jedes Land seinen Beitrag leistet.
Kommt man diesmal dem Ziel «maximal zwei Grad» entscheidend näher?
Wir möchten die maximale Temperaturerhöhung auf zwei Grad beschränken, weil wir wissen, dass eine grössere Zunahme der Temperatur Folgen hätte, die schwer zu meistern wären. Wir wissen, dass Nichtstun uns sehr viel teurer zu stehen kommt, als heute zu handeln. Zurzeit sind wir auf einem 3,5-Grad-Weg.
Im Hinblick auf Paris mussten alle Staaten ankündigen, welche Massnahmen sie bei sich selbst zu treffen gedenken, und welche Reduktionen an Klimagasen diese Massnahmen bewirken werden. Die Summe aller bis heute eingetroffenen Ankündigungen würde es ermöglichen, auf einen 2,7-Grad-Weg zu gelangen. Noch nicht genug, aber schon wesentlich besser. Und es wird auch eine COP22 stattfinden.
Das Interview führte Daniel Blickenstorfer.