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Niederlande: Überfülltes Asylzentrum sorgt für viel Kritik
Aus SRF 4 News vom 26.08.2022. Bild: Keystone-SDA
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Niederländisches Asylzentrum «Die Leute schlafen einfach draussen auf der Wiese»

Hunderte Asylsuchende verbringen die Nacht draussen vor einem niederländischen Asylzentrum. Das Problem ist hausgemacht.

Worum geht es? Seit Wochen müssen mehrere Hundert Asylsuchende in den Niederlanden im Freien übernachten. «In den letzten Tagen waren es oft bis zu 700 Leute, ein Rekord», sagt der freie Journalist Thomas Verfuss. Der Grund: Das nationale Aufnahmezentrum Ter Apel in der Provinz Groningen ist überfüllt, die Behörden sind überfordert. Die Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen» ist jetzt vor Ort im Einsatz, zum ersten Mal überhaupt in den Niederlanden.

Asylsuchende schlafen in Ter Apel (26. August 2022).
Legende: Asylsuchende schlafen in Ter Apel (26. August 2022). KEYSTONE/EPA/RAMON VAN FLYMEN

Wie sind die Zustände? «Die Leute schlafen einfach draussen auf der Wiese», erklärt Verfuss. «Nun ist es Sommer, aber es gibt halt auch Wind, es gibt morgens Tau.» Alles werde feucht. Es sei auch nicht genügend medizinische Unterstützung da: «Etwa für die Menschen, die eine lange Reise hinter sich haben, unter Krätze leiden.» Leute, die vor Ort Essen austeilen, fehlen ebenfalls.

Ter Apel ist ein Nadelöhr. Bevor man ins Asylverfahren kommt, muss man sich hier registrieren lassen.
Autor: Thomas Verfuss Freier Journalist in den Niederlanden

Woher kommen diese Menschen? Im Moment scheinen es laut Verfuss vor allem Syrerinnen und Syrer sowie einige Menschen aus Ländern wie Äthiopien oder Eritrea zu sein. «Das weiss man aber erst dann, wenn sie registriert worden sind.» Das sei das Problem: «Dieses Zentrum ist ein Nadelöhr. Bevor man ins Asylverfahren kommt, muss man sich hier registrieren lassen.» Und die Kapazitäten, um Identitäten abzuklären, seien nicht ausreichend.

400 Menschen wurden verlegt

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Wie die deutsche «Tagesschau» am Samstag auf ihrer Homepage schreibt, seien etwa 400 Menschen inzwischen verlegt worden. Dies erklärte der Sprechers der Zentralbehörde für die Aufnahme von Asylsuchenden, Leon Veldt. Schon am Freitag waren 150 Personen in zwei Sporthallen gebracht worden.

Wie reagiert die Öffentlichkeit? Die Zeitung «De Volkskrant» spricht von einer «stümperhaften Regierungsadministration». Die Zustände werden als menschenunwürdig beschrieben. Es sei schlimm, dass eine Organisation wie «Ärzte ohne Grenzen», die normalerweise in Entwicklungsländern tätig ist, wo es keine Infrastruktur gibt, wo nach Erdbeben oder bei Hungerkatastrophen geholfen werden muss, in den Niederlanden aktiv werden müsse. «Und dies in einem der reicheren Länder Europas.»

Sind auch Ukrainerinnen betroffen? 70'000 ukrainische Flüchtlinge leben in den Niederlanden. Deren Aufnahme verlief offenbar reibungsloser. Denn: Von den Menschen aus der Ukraine wird nicht verlangt, dass sie beweisen, dass sie politisch verfolgt sind. «Sie mussten hier gar nicht erst durchs Asylverfahren. Sie wurden einfach aufgenommen und dürfen bleiben, bis der Krieg vorbei ist», sagt der Journalist. «Das heisst, Ukrainer müssen gar nicht nach Ter Apel.»

Männer lehnen sich an ein Gitter an
Legende: Anstehen im Morgengrauen vor dem Asylzentrum: Alltag für viele Geflüchtete. Keystone/Peter Dejong

Was tut die Regierung dagegen? Regierungschef Mark Rutte hat reagiert und von einer schrecklichen Situation gesprochen. Man wolle Abhilfe schaffen, weiss Verfuss: «Die Regierung verhandelt zurzeit mit den Kommunen, denn der Staat hat ja zum Beispiel keine Turnhallen.» Gebäude, in denen man Asylsuchende vorläufig unterbringen könnte, seien meist in kommunalem Besitz. Der Staat habe zum Beispiel ein Hotel beschlagnahmt. Doch nun fühlten sich die Kommunen in ihrer Autonomie angegriffen, so der Journalist.

Ist die Misere politisch gewollt? Die Niederlande haben eine der strengsten Asylpolitiken Europas. Die jetzige Misere habe vor allem damit zu tun, dass man immer wieder Kapazitäten abbaue. «Der Flüchtlingsstrom ist nicht konstant», erklärt Verfuss. «Vor einigen Jahren gab es ja auch schon einen grossen Flüchtlingsstrom.»

Die Kritik, die an der Regierung geübt wird, ist, dass sie sofort versucht, Geld einzusparen, wenn ein paar Flüchtlinge weniger kommen.
Autor: Thomas Verfuss Freier Journalist in den Niederlanden

Damals habe man Kapazitäten auf- und wieder abgebaut, als weniger Flüchtlinge kamen. «Die Kritik, die an der Regierung geübt wird, ist, dass sie versucht, sofort Geld einzusparen, wenn ein paar Flüchtlinge weniger kommen.» Wenn der Zufluss wieder zunehme, sei es schwer, entsprechende Kapazitäten rasch wieder aufzubauen.

Rendez-vous, 26.08.2022, 12:30 Uhr ; 

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