SRF News: Was bedeutet die Begnadigung von Chelsea Manning für Edward Snowden?
Bosonnet: Grundsätzlich ist Snowden in einer ähnlichen Situation wie Manning. Er wird beschuldigt, geheime Dokumente entwendet und Geheimnisse preisgegeben zu haben. Allerdings besteht gegen ihn erst eine Anklage, wogegen Manning bereits verurteilt wurde und einige Jahre ihrer Haftstrafe bereits abgesessen hat.
Ist eine Begnadigung Snowdens ohne vorangegangenen Prozess und Verurteilung in den USA überhaupt denkbar?
Ja, das ist in den USA möglich. Schon 1866 wurde von einem scheidenden Präsidenten erstmals eine Begnadigung ausgesprochen, ohne dass ein gültiges Urteil vorgelegen hatte. Seither ist dies in den USA immer wieder vorgekommen.
Kann Obama Snowden auch dann begnadigen, wenn dieser sich im Ausland aufhält?
Das könnte er sehr wohl. Seit dem erwähnten Begnadigungsfall von 1866 ist klar, dass jemand auch dann begnadigt werden kann, wenn er sich nicht in den USA befindet – und auch, wenn er noch nicht verurteilt worden ist.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Obama diesen Schritt noch macht? Aus seinem Umfeld hiess es, die beiden Fälle Manning und Snowden seien nicht vergleichbar.
Tatsächlich hat man das aus Obamas Umfeld gehört. Trotzdem ist es noch zu früh, um abschliessend festzustellen, dass Obama Snowden nicht begnadigt. Bis Freitag hat Obama noch die Möglichkeit, von seinem Recht auf Begnadigung Gebrauch zu machen.
Ausgerechnet heute hat Russland die Aufenthaltserlaubnis Snowdens um zwei Jahre verlängert. Was ist die Absicht Moskaus?
Es ist sicher kein Zufall, dass dies heute geschehen ist. Die Verlängerung gibt Snowden einen gewissen Schutz, indem er weiterhin in Russland bleiben kann. Allerdings: Snowden hat mehrmals gesagt, er hoffe, dass er in die USA zurückkehren könne und dort einen fairen Prozess erhalte. Er meint damit, dass er seine Sicht der Dinge und seine Beweggründe für sein Vorgehen im Prozess darlegen könnte, und dies bei der Bemessung des Strafmasses auch berücksichtigt würde.
Das Gespräch führte Simon Leu.