Wer möchte nicht absolute Sicherheit vor Anschlägen? Die Frage ist rein rhetorisch, veranlasst das vom Terror heimgesuchte Frankreich aber zu einer Grundsatzdebatte. Darüber, wie weit der Staat gehen darf, um eben diese Sicherheit zu gewährleisten.
Ein Muster davon, wie eine solche «Güterabwägung» im unmittelbaren Gefolge eines Terroranschlags aussehen kann, lieferte nun ein Gericht in Toulouse. So verurteilte es einen 21-Jährigen, weil dieser im betrunkenen Zustand wüste Drohungen ausstiess. Nach einem Streit hatte der Beschuldigte im Tram gesagt, es sollte mehr Leute wie die Brüder Kouachi geben. Gefolgt von den drastischen Worten: «Ich hoffe, ihr seid die Nächsten!»
Dies sei eine Glorifizierung des Terrorismus, meinten die Richter – und verurteilten den jungen Mann zu vier Jahren wegen seiner Drohungen im Suff. Auch wenn sich die Richter auf einen schon vor den Anschlägen bestehenden Gesetzesartikel stützen, es bleibt der Eindruck: Für Frankreich beginnt eine schwierige Gratwanderung.
Es darf kein französisches Guantánamo geben.
Doch wie können künftige Terroranschläge verhindert werden? Bernard Squarcini, der frühere Chef des Inlandnachrichtendienstes DGSI, fordert in der Zeitung «Le Figaro», die Agenten müssten das Recht bekommen, Mikrofone und GPS-Sender in verdächtigen Autos zu verstecken. Auch Telefonüberwachungen müssten erleichtert werden.
Doch prominente Kommentatoren und Politiker warnen vor der Gefahr, dass das Pendel nun zu stark in Richtung Repression ausschlägt.
Die Zeitung «Le Monde» betont, die Republik müsse im Kampf gegen den Terrorismus den Werten treu bleiben, die das Volk bei der Kundgebung am Sonntag verteidigt habe, den Werten Freiheit und Demokratie. Und der frühere Innenminister Claude Guéant will keinen französischen «Patriot Act», der den Geheimdiensten fast grenzenlose Vollmachten bringen würde: «Es darf kein französisches Guantánomo geben.»
In den USA erlaubt es der «Patriot Act» den Geheimdiensten, die Telefone amerikanischer Bürger ohne richterliches Mandat abzuhören, ihre elektronische Post zu lesen, ihre Computerfestplatten zu durchwühlen. Terrorverdächtige können als «feindliche Kämpfer» ausserhalb des Rechtsystems festgehalten werden, etwa in Guantánamo.
Frühere Spitzenpolitiker uneins
Doch Guéant glaubt, es gebe durchaus Rechte, auf die man leicht verzichten könne. Er fordert zum Beispiel, Doppelbürgern sei die französische Staatsangehörigkeit abzuerkennen, wenn ihr Verhalten den Grundwerten der Republik widerspreche.
Der frühere Premierminister François Fillon mahnt zur Vorsicht. Auf die Freiheiten angesprochen, auf die man leicht verzichten könne, insistiert er: «Es kommt nicht in Frage, beim Kampf gegen den Terrorismus auf die Grundwerte Liberte, Égalité und Fraternité zu verzichten.»
Aber auch Fillon findet, die Polizei müsse neue Kompetenzen erhalten. Beispielsweise die Möglichkeit, Bürger zu befragen, wenn sie regelmässig islamistische Webseiten besuchten. «Kein Guantánamo, aber…» – das ist wohl die Quintessenz dieser Aussagen. Die entscheidende Frage ist, wie gross dieses «aber» sein soll.