In Polen schwanken die Menschen zwischen Jubel und blankem Entsetzen – so beschreiben polnische Medien den Tag nach dem Rechtsruck. Der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist ein historischer Sieg gelungen.
37,6 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben sich für die Nationalkonservativen mit der Spitzenkandidatin Beata Szydlo entschieden. Damit erreicht die PiS im Parlament die absolute Mehrheit: Sie stellt neu 235 von 460 Abgeordneten.
Die bisherige Mitte-Regierungspartei von Regierungschefin Ewa Kopacz, die Bürgerplattform (PO), erreicht 24,1 Prozent der Stimmen.
Drittstärkste Partei ist die konservative Bewegung Kukiz des ehemaligen Rockmusikers Pawel Kukiz, die 8,8 Prozent der Stimmen erhielt. Linke Parteien sucht man erstmals seit 25 Jahren vergebens im neuen polnischen Parlament.
Die neue Aufteilung im Parlament sieht wie folgt aus:
Der PiS ist es bei den Parlamentswahlen gelungen, neue Wählergruppen zu gewinnen. So führt sie bei der Parlamentswahl erstmals auch in den Grossstädten. Doch die Gräben zwischen Stadt und Land sind teilweise beträchlich.
In sehr ländlichen Gebieten konnte die PiS über 45 Prozent Wählerstimmen verbuchen, während es in Städten mit über 50'000 Einwohnern noch gut 33 Prozent waren. Umgekehrt hat die bisherige Regierungspartei PO in den Städten deutlich mehr Stimmen als auf dem Land geholt, wie das folgende Diagramm zeigt.
Weshalb diese Abstrafung der bisherigen Regierung?
Für Jan Opielka, Polen-Korrespondent für diverse deutsche Zeitungen, ist die wichtigste Ursache für den Rechtsrutsch die grosse Unzufriedenheit – quer durch alle Wähler- und Bildungsschichten.
Das Land stehe zwar wirtschaftlich gut da; die ökonomische Stabilität hätten die kleinen Bürger aber nicht zu spüren bekommen, sagte er gegenüber SRF News. «Die Löhne etwa sind bei einem Grossteil der Bevölkerung nach wie vor klein», so Opielka.
Viele Wählerinnen und Wähler in Polen hätten deshalb auf die PiS gesetzt. Deren Parteichef Jaroslaw Kaczynski liess nach dem Wahlsieg bei vielen Polen aber dennoch die Alarmglocken schrillen.
Ein Polen der traditionellen Werte
Denn obwohl Kaczynskis Partei die absolute Mehrheit gewann, hatte Kaczynski zuvor für ein «breites Bündnis» der konservativen Kräfte geworben. Damit strebt er offenbar eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament an. Mit einer zwei Drittel-Mehrheit kann er die Verfassung ändern und das seit 1989 bestehende politische System in Polen umgestaltet.
Kommt sie nun also doch, die «Vierte Republik», die Kaczynski und sein vor fünf Jahren verstorbener Zwillingsbruder Lech Kaczynski stets schaffen wollten? Gemeint ist ein Polen traditioneller Werte. Es wäre ein grundlegender Umbruch.
Partner für PiS scheinen klar
Hoffnungen auf Unterstützung für grundlegende Änderungen kann sich die PiS etwa bei der Zusammenarbeit mit der Bewegung Kukiz'15 des ehemaligen Rockmusikers Pawel Kukiz machen.
Und die Bauernpartei PSL hatte schon während des Wahlkampfs vorsichtig die Fühler Richtung PiS ausgestreckt. Zudem könnte die PiS selbst bei der bisherigen Regierungspartei Bürgerplattform kooperationswillige Partner finden.
Für die Regierungsbildung stehen folgende Termine an:
- bis spätestens am 24. November muss das Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen kommen
- die bisherige Regierung wird dann ihren Rücktritt einreichen
- Präsident Andrzej Duda beauftragt einen Kandidaten mit der Regierungsbildung
- die neue Regierung muss innerhalb von 14 Tagen vereidigt werden
- die voraussichtlich neue Regierungschefin Beata Szydlo muss innerhalb von 14 Tagen ihr Programm vorstellen und ein Vertrauensvotum im Parlament gewinnen