Serbien, Nordmazedonien und Albanien heben die Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen auf. Das haben Albaniens Ministerpräsident Edi Rama, sein nordmazedonischer Kollege Zoran Zaev und Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vucic am Donnerstag in Skopje beschlossen. Die Grenzöffnung gilt ab 2023 und betrifft zunächst nur den Personenverkehr. In einem weiteren Schritt wollen die Länder ihre Arbeitsmärkte öffnen und den Aussenhandel erleichtern. Adelheid Wölfl, Südosteuropa-Korrespondentin für die Zeitung «Der Standard», bewertet dies positiv.
SRF News: Was erhoffen sich die drei Länder von der Grenzöffnung?
Adelheid Wölfl: Die Bürgerinnen und Bürger in Südosteuropa möchten genauso frei reisen können wie jene in der EU. Das ist sehr populär. Und es geht den Politikern darum, mehr Freiheiten zu gewähren. In Nordmazedonien ist zum Beispiel ein Viertel der Bevölkerung albanisch. Die Beziehung zu den Albanerinnen und Albanern ist deshalb wichtig. Es geht um einen gemeinsamen kulturellen, sprachlichen Raum. Ähnliches gilt auch für Nordmazedonien und Serbien. Zwischen diesen Ländern gab es bereits zu Zeiten Jugoslawiens keine Grenzkontrollen. Das heisst, es wäre wieder ein Schritt zurück in diese Zeit.
Bei dem Projekt ‹Open Balkan› geht es auch um die gegenseitige Anerkennung von Diplomen und einen Binnenmarkt.
Die Autobahnverbindungen im Westbalkan sind verbessert worden. Auch die Roaming-Gebühren wurden gesenkt. Das sind alles positive Zeichen. Bei dem Projekt «Open Balkan» geht es aber auch um die Anerkennung von Diplomen und einen Binnenmarkt. Das wird jedoch schwierig, denn dazu bräuchte es eine Zollunion, und die ist viel schwerer zu erreichen.
Kann man sagen, dass sich die Politik der Alltagsrealität der Menschen anpasst?
Ja, man profitiert davon, wenn man etwa in Südserbien lebt und ohne Aufwand zum Markt nach Kumanovo in Nordmazedonien fahren kann. Aber es geht auch um ein positives politisches Zeichen. Denn zwischen Serbien und Albanien gab es jahrzehntelang gar keine Beziehungen. Erst in den letzten Jahren hat man diese wieder aufgenommen. Heute gibt es zum Beispiel ein Jugendwerk aller sechs Westbalkanstaaten. Dessen Sitz ist in Albaniens Hauptstadt Tirana und der Leiter ist ein Serbe. Da ist Bewegung drin und es ist sehr positiv, wenn auch Leute aus Serbien in Albanien Ferien machen, weil dadurch auch Vorurteile abgebaut werden.
Die Länder wollen künftig auch wirtschaftlich enger kooperieren. Wie wichtig ist das?
Sehr, denn das Bruttoinlandprodukt aller sechs Westbalkanstaaten macht weniger als ein Prozent des Bruttoinlandprodukts der EU aus. Sie sind wirtschaftlich komplett abgehängt und man ist bisher daran gescheitert, die regionale Kooperation zu verbessern. Deshalb sind solche Erleichterungen gut für die Wirtschaft. Aber noch effektiver wäre ein Beitritt zur EU-Zollunion.
Serbien, Albanien und Nordmazedonien wollen in die EU. Die Kandidaturen kommen aber nicht voran. Welches Signal will man mit dieser Initiative an die EU senden?
Dass man bereit ist, zusammenzuarbeiten. Drei Staaten wollen jedoch nicht mitmachen: Kosovo, Montenegro und Bosnien-Herzegowina. Das ist verständlich, da Serbien den Kosovo nach wie vor nicht anerkennt. Das bleibt irgendwie eine offene Wunde auf dem Balkan. Es wäre also wichtig, auch in dieser Richtung vermehrt politisch zusammenzuarbeiten. Es herrscht eine regionale Feindseligkeit. Die drei Staaten, die sich jetzt geeinigt haben, hatten aber immer am wenigsten Konflikte politischer Natur miteinander. Deswegen war das so leicht möglich.
Das Gespräch führte Raphael Günther.