SRF News: Sie waren an der Demonstration in Moskau dabei. Was ist passiert?
David Nauer: Es war eigentlich keine richtige Demonstration geplant gewesen, sondern eher ein Massenspaziergang im Zentrum Moskaus, wo gleichzeitig ein Volksfest stattfand. Das führte zu chaotischen Szenen. Als am Fest plötzlich ganz viele Leute auftauchten, wusste die Polizei nicht, ob es sich um normale Besucher oder um Demonstrierende handelt. Das klärte sich erst, als die Leute Parolen zu rufen begannen. Es herrschte den ganzen Nachmittag ein ziemliches Durcheinander.
Worum ging es den Demonstranten?
Viele Teilnehmer waren sehr jung, Studenten und Schüler. Offiziell war es ein Protest gegen die Korruption in den obersten Kreisen des russischen Staates. Viele Demonstranten sagten aber auch, sie wollten mehr Demokratie und vor allem ihren Präsidenten selber wählen können. Sie möchten im Kreml endlich eine Alternative zu Putin und seinem Team sehen. Sie kennen Russland nur unter Putin und wollen nun eine Veränderung.
Wie hat die Polizei reagiert?
Sie schien vom Massenaufmarsch zunächst überrascht, setzte dann aber ein massives Aufgebot ein und ging die gewaltsam gegen die Demonstrierenden vor. Allein in Moskau sollen rund 600 Personen festgenommen worden sein, in St. Petersburg angeblich noch mehr. Ich selber habe einige ziemlich brutale Festnahmen beobachtet. Es ist beeindruckend, welches Polizeiaufgebot der russische Staat da plötzlich aufgefahren hat. Die Repressionsmaschine funktioniert also, wenn sie muss.
Was bedeutet Nawalnys Verhaftung für seine Kandidatur bei der Präsidentenwahl von nächstem Jahr?
Das ist schwer zu sagen. Es ist ja auch noch unklar, wie lange er in Haft bleibt. Ungewiss ist auch nach wie vor, ob er als Präsidentschaftskandidat überhaupt zugelassen wird. Mir scheint aber, dass er durch solche Aktionen wie heute bei seinen Anhängern zusätzlich an Popularität gewinnt. Nawalny beweist Mut, ist unerschrocken und kompromisslos. Eigentlich wäre heute eine legale Demo möglich gewesen, etwas ausserhalb des Stadtzentrums von Moskau. Nawalny aber wollte den Protest ins Herz der Hauptstadt tragen und seine Leute sind ihm dabei gefolgt. Sie mögen ihn – gerade für seinen kompromisslosen Stil.
Das Gespräch führte Damian Rast.