In den Reihen der Rebellen in der Ostukraine kämpfen auch Russen. Das sagte der Separatistenführer Andrej Sachartschenko dem russischen Fernsehsender Rossija-24: «Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass es unter uns viele Russen gibt, ohne deren Hilfe wir es sehr schwer hätten», so der Separatistenführer.
«In unseren Reihen hat es etwa 3000 bis 4000 gegeben. Viele sind heimgefahren. Viel mehr sind aber geblieben. Leider gab es auch Tote», sagte Sachartschenko. Bei den Russen handele es sich ausschliesslich um Freiwillige.
«Es wird immer offensichtlicher, wie sehr der russische Präsident Wladimir Putin die Weltgemeinschaft an der Nase herumführt», sagt Peter Gysling zu SRF. Noch am Dienstag habe Putin in Minsk erklärt, die Kämpfe in der Ostukraine seien eine rein inner-ukrainische Angelegenheit. Und deshalb sei er gar nicht in der Lage, mildernd auf den Krieg einzuwirken.
«Weil sich seit ein paar Stunden aber die Präsenz starker russischer Verbände in der Ukraine kaum mehr abstreiten lässt, ist nun der sogenannte Ministerpräsident der Separatisten, Alexander Sachartschenko, vorgeschickt worden, um die Beteilung der Russen am Krieg – auf seine eigene Weise – ins richtige Licht zu rücken», sagt Gysling.
Am Kämpfen statt am Strand
Unter den Freiwilligen seien viele reguläre russische Soldaten, die ihre Freizeit an der ostukrainischen Front verbringen würden, sagte Sachartschenko. «Sie ziehen es vor, ihren Urlaub nicht am Strand, sondern Schulter an Schulter mit ihren Brüdern zu verbringen, die um die Freiheit des Donbass kämpfen.»
Zudem kämen viele frühere Berufssoldaten aus Russland. «Sie kämpfen mit uns, weil sie dies als ihre Pflicht verstehen», meinte der Separatistenführer.
«Russland will nicht die Wahrheit sagen»
Zuvor hatten die USA Russland vorgeworfen, eine Gegenoffensive der Rebellen in der Ostukraine zu «lenken». Aussenamtssprecherin Jen Psaki begründete diese Einschätzung am Mittwoch in Washington unter anderem mit dem Eindringen russischer Soldaten in das Nachbarland.
«Dieses Eindringen deutet darauf hin, dass es offenbar eine von Russland gelenkte Gegenoffensive in Donezk und Lugansk gibt.» Die USA seien durch diese Entwicklung «tief beunruhigt». Psaki warf Moskau zudem vor, «nicht die Wahrheit sagen zu wollen, selbst nachdem russische Soldaten knapp 50 Kilometer tief in der Ukraine entdeckt wurden».
Russische Militärkolonne
Kiew wirft Russland seit Monaten vor, die prorussischen Separatisten im Osten des Landes mit Kämpfern und Waffen zu unterstützen. Dies wird von Moskau zurückgewiesen. Allerdings waren am Montag erstmals zehn russische Fallschirmjäger im Osten der Ukraine festgenommen und identifiziert worden.
Am Mittwoch vermeldete die ukrainische Armee, dass eine russische Militärkolonne mit hundert Panzern, Truppentransportern und Grad-Raketenwerfern auf ukrainischem Territorium unterwegs sei. Allerdings konnte der nationale Sicherheitsrat in Kiew diese Angaben am Abend nicht bestätigen. Kiew hat in der Vergangenheit schon häufiger von eingedrungenen Militärkonvois aus Russland gesprochen, dafür aber keine stichhaltigen Beweise vorgelegt.
Nato-Diplomat: Russisches Luftabwehrsystem in der Ukraine
Nach Angaben eines Nato-Diplomaten wurde zudem ein russisches Luftabwehrsystem in dem von den Separatisten kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine entdeckt. Es handele sich um ein SA-22-System, mit dem unter anderem Raketen der Gegenseite auf eine Entfernung von 20 Kilometer abgeschossen werden könnten.
Der Nato-Diplomat, der anonym bleiben wollte, wies in Brüssel daraufhin, dass ein ähnliches System, SA-11, für den Absturz eines malaysischen Passagierflugzeuges über der Ostukraine verantwortlich gemacht wird. Dabei waren Mitte Juli alle 298 Insassen getötet worden.
Merkel-Telefonat mit Putin
In einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verlangte Bundeskanzlerin Angela Merkel Aufklärung über Berichte zur Präsenz russischer Soldaten auf ukrainischem Territorium. Russland sei aufgerufen, hierzu seinen Teil beizutragen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.
Merkel habe die grosse Verantwortung Russlands für eine Deeskalation und für eine Überwachung der eigenen Grenze unterstrichen. Nach Angaben des Kremls fand das Telefonat auf Initiative der Bundesregierung statt. Putin habe Merkel dabei über einen geplanten zweiten Hilfskonvoi Moskaus für das Krisengebiet informiert.
Ein erster Konvoi hatte in den vergangenen Wochen einen heftigen Streit zwischen Moskau und Kiew ausgelöst. Zuvor hatte die Kanzlerin mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko telefoniert. Dabei appellierte sie an beide Seiten, endlich zu einem Waffenstillstand und zu einer zuverlässigen Kontrolle der Grenze zu kommen.
«Präsident, rette die Patrioten»
Hunderte Demonstranten haben am Mittwoch vor dem Sitz des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko Verstärkung für im Osten des Landes eingekesselte Soldaten gefordert. Sie verlangten den in der Stadt Ilowajsk von prorussischen Separatisten belagerten ukrainischen Soldaten Unterstützung zu schicken. «Präsident, rette die Patrioten», war etwa auf einem Transparent zu lesen.
Ilowajsk liegt etwa 20 Kilometer von der Separatistenhochburg Donezk entfernt. In der Stadt sind Soldaten der ukrainischen Armee, vor allem Freiwillige, seit mehr als einer Woche eingeschlossen. In sozialen Onlinenetzwerken berichten sie seit Tagen von ihrer kritischen Lage und fordern militärische Verstärkung.
In Donezk selbst sind innerhalb 24 Stunden mindestens elf Zivilisten bei Kämpfen getötet worden. Durch Artilleriebeschuss auf mehrere Stadtviertel seien zudem 22 weitere Bewohner verletzt worden, teilte die Stadtverwaltung mit. Insgesamt wurden in dem Konflikt zwischen ukrainischen Truppen und prorussischen Rebellen inzwischen mehr als 2200 Menschen getötet.