Es sind nicht Geier, die über Rom kreisen. Es sind Möwen. Eigentlich leben Möwen am Meer. Doch sie haben längst gemerkt, dass ihr Leben in der italienischen Kapitale viel bequemer ist: Spaghetti, Pizza, Melonen.
Möwen picken alles auf, was die Bewohner der Stadt in ihre Müllsäcke stopfen. Diese bleiben tage- oder gar wochenlang auf den Strassen stehen. Neben Möwen zieht Roms Müllkrise auch Wildschweine, Ratten und Mäuse an.
300 Tonnen Müll bleiben liegen
Auf der Via Gregorio Settimo, in der Nähe des Vatikans, lärmt der Morgenverkehr. Man sieht die Kuppel des Petersdoms, aber auch Berge von Müllsäcken, aufgeschlitzt oder auch nicht, ein Bügelbrett, viel Karton, eine gammlige Matratze. Gleich daneben serviert Giorgio in seiner Bar Kaffee und Cornetti; mit Konfitüre oder Nutella gefüllte Gipfeli. Es sei schwierig, sagt er.
«Niemand holt den Müll ab. Die Leute werfen ihre Säcke auf jene, die sie gestern schon dort deponiert haben», sagt der Barbesitzer. Die Statistik sagt, dass jeden Tag rund 300 Tonnen Müll auf Roms Strassen liegen bleiben.
Abfallgebühr ohne Gegenleistung
Jetzt liegt der Müll noch im Schatten. Doch bald kommt die Sonne. Und mit der Hitze kommen die Gerüche. 1900 Euro Abfallgebühr zahle er pro Jahr. «Und was bekomme ich dafür?», fragt Giorgio. Er erwartet keine Antwort.
Ein paar 100 Meter weiter betreibt Rosanna eine Wäscherei, vor der ebenfalls ein Müllberg liegt. «Es ist ein totales Chaos. So schmutzig wie heute war Rom noch nie – nie!», sagt Rosanna, die nebenher Wäsche bügelt. «Wir verlieren unsere Würde, unsere Dignità!» Alle sagen, dass es noch nie so schlimm war.
Ärzte warnten gar vor der Ausbreitung ansteckender Krankheiten. Kinder solle man besser nicht in die Nähe überquellender Container lassen, sagen sie.
Roberto Scacchi ist Präsident der Umweltorganisation Legambiente in Rom. Was ist hier schiefgelaufen? Um das zu erklären, blickt er 50 Jahre zurück.
Kaum Erfahrung mit Recycling
Während eines halben Jahrhunderts habe Rom den grössten Teil des Mülls einfach auf der riesigen Deponie Malagrotta vergraben, vor den Toren der Ewigen Stadt. Alles kam dahin, vom Kühlschrank bis zur Orangenschale.
Erst unter massivem Druck der EU schloss die Stadtverwaltung die Deponie, aber erst vor einigen Jahren. Das heisst, Rom hat vergleichsweise wenig Erfahrung mit Recycling. Und die Römer haben wenig Lust auf Abfalltrennung. «44 Prozent trennen sie selber: Altglas, Altpapier, Plastik und Kompost», sagt Scacchi. «Aber 56 Prozent ist Restmüll. Und der müsste entsorgt werden.»
Nur hat Rom dafür in den letzten Jahren kaum Anlagen geschaffen. Viel Müll landet bei privaten Firmen im In- und Ausland, die ihn Rom zu oft komplett überrissenen Preisen abnehmen – ein Business. Seit drei Jahren regiert Virginia Raggi vom Movimento Cinque Stelle die Stadt.
Kehrichtwagen nicht fahrtauglich
Im Wahlkampf hatte sie versprochen, das städtische Recycling massiv auszubauen. Tatsächlich aber sei rein gar nichts passiert, sagt Scacchi von der politisch unabhängigen Legambiente. Es mangle der Stadtverwaltung an Wissen und sicher auch an Geld. Zudem verhindere die komplizierte Bürokratie schnelle Lösungen. So fehlt es in Rom sogar an Kehrichtwagen.
Dies, weil ein Teil wegen schlechten Unterhalts gar nicht mehr fahrtauglich ist. Eine rasche Besserung sei nicht zu erwarten, sagt Scacchi. Schlechte Aussichten für Rom, dafür aber beste Aussichten für die Möwen.