Er sieht aus wie ein Dichter: elegante Finger, schulterlange, schwarze Haare, die ein feingeschnittenes Gesicht umrahmen, ein braunes Gilet über dem traditionellen Gewand der Paschtunen. Doch darunter trägt Faraidun eine Pistole. Unruhig gleiten seine Finger über die Gebetskette.
Faraiduns Expertise ist nicht die Dichterei. «Sprengfallen, Autobomben, Überfälle – das waren unsere Taktiken. In der Provinz Loghar habe ich einmal fünf gepanzerte Fahrzeuge in die Luft gesprengt. In Nangarhar habe ich 43 Männer kommandiert.»
Faraidun ist ein ehemaliger Talib. Die radikalen Islamisten waren für ihn eine Notlösung. Er trat ihnen mit 17 Jahren bei. Bis dahin hatte er sie verabscheut, weil sie die Dorfbevölkerung terrorisierten.
«Alles begann mit einem Familienstreit», erzählt Faraidun. «Wir erbten ein Haus in Dschalalabad, aber mein Onkel verweigerte meiner Familie den Zutritt.» Faraidun berichtet, wie er sein Recht vor Gericht erstreiten wollte, der Onkel aber alle Regierungsvertreter bestochen habe. «Deshalb ging ich zu den Taliban. Ich wollte zurückkommen, mich rächen und meinen Onkel töten.»
«Da war kein Paradies und auch kein heiliger Krieg»
Doch stattdessen tötete er afghanische Regierungsvertreter und Soldaten. Faraidun und seine Männer lebten in den Bergen oder erzwangen sich Gastrecht in den Häusern von anderen Afghanen. Als Kommandant verdiente er 1500 Dollar pro Monat. Dazu kamen weitere Einnahmen aus Schutzgelderpressung und Steuern auf Opium und Weizen, die die Taliban einkassieren.
Die Waffen und Anweisungen seien alle aus Pakistan gekommen – von der Führungsriege der Taliban in Peschawar und vom pakistanischen Geheimdienst, sagt Faraidun. Bald setzte die Ernüchterung ein. «Die Taliban versprachen mir das Paradies, aber da war kein Paradies und auch kein heiliger Krieg. Ich tötete meine afghanischen Brüder.» Er sei eine Puppe des pakistanischen Geheimdiensts gewesen, erzählt Faraidun. «Pakistan benutzt uns, um Afghanistan schwach zu halten. Es ist ihre Mission, nicht unsere.»
Der Weg zurück
Desillusioniert liess sich Faraidun auf ein Angebot der Regierungskommission für Frieden und Reintegration ein. Diese versucht, Taliban-Kämpfer mit Geld und Jobangeboten zurück ins normale Leben zu locken. Auch Faraiduns Familie übte Druck auf ihn aus und sein Onkel versprach ihm, endlich seinen Teil des Hauses herauszugeben. Das war vor sechs Monaten.
«Ich habe nichts von niemandem bekommen», sagt Faraidun heute. «Dieser Friedensprozess ist ein einziges Geschäft. Jene, die gar nicht bei den Taliban waren, kriegen von der Regierung Geld – und Leute wie ich gehen leer aus. Arbeiten kann ich nicht. Die Taliban-Führung hat ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt, so dass ich in den letzten Monaten dreimal die Wohnung gewechselt habe.»
Der Stress mache ihn krank, sagt Faraidun. Er wolle etwas tun, aber wisse nicht was. Zurück zu den Taliban kann er nicht. Im normalen Leben ist er verloren. Für Leute wie ihn gebe es aber ein Auffangbecken: die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Kämpfern seines Ranges würden sie 1000 Dollar pro Monat bezahlen.
«Die wollen Leute wie mich, mit Kampferfahrung und Ortskenntnissen. Einige sind bereits zum IS abgesprungen. Es gab Kämpfe zwischen den Taliban und dem Islamischen Staat hier», berichtet Faraidun.
Führungskrise bei den Taliban
Die Taliban stecken in einer Führungskrise. Gemunkelt wird, ihr Anführer Mullah Omar sei tot. Zum jüngsten Anschlag in Dschalalabad hat sich nun ein Vertreter des IS in Pakistan bekannt – auch er war ein ehemaliger Taliban.
Es ist wahrscheinlich, dass sich die Konkurrenzkämpfe zwischen dem IS und den Taliban auch in Afghanistan verschärfen werden. Für das Land und für den ehemaligen Talib sind das dunkle Aussichten. Obwohl er nicht weiss, wo sein Weg hinführen wird, hat Faraidun eine Hoffnung. «Gott soll mir vergeben, was ich getan habe.»