Der Brief von Staatssekretärin Livia Leu ist durchaus geschickt formuliert. Sie signalisiert die Bereitschaft, jetzt rasch vorwärts zu machen. Leu schlägt ihrem Pendant auf EU-Seite rasch ein nächstes Treffen vor und sagt grundsätzlich, dass die Schweiz bereit sei, auf die Forderungen der EU in Verhandlungen einzugehen.
Die Staatssekretärin anerkennt im Brief auch verschiedene Prinzipien, die der EU sehr wichtig sind – lässt sich aber bei alledem inhaltlich nicht wirklich in die Karten blicken. Zugleich markiert Leu den einen oder anderen Punkt.
Grundsätzliche Bereitschaft der Schweiz
Doch der Reihe nach: Livia Leu anerkennt den Grundsatz, dass die Schweiz bereit sei, die bilateralen Abkommen dynamisch an EU-Recht anzupassen. Sie anerkennt auch den Grundsatz, dass ausschliesslich der Europäische Gerichtshof EU-Recht auslege. Sie zeigt sich auch offen dafür, dass die gleichen institutionellen Regeln in allen relevanten Marktzugangsabkommen gelten sollen.
Das kann durchaus als Schritt auf die EU zu gedeutet werden. Denn nach dem Abbruch des Rahmenabkommens durch den Bundesrat waren sich manche Politiker und Diplomatinnen nicht mehr so sicher, ob die Schweiz diese Grundsätze anerkennt oder eben nicht.
Details in Verhandlungen klären
Wenn es dann aber konkret wird, verweist Staatssekretärin Leu in ihrem Brief auf mögliche Verhandlungen: Beim Streitschlichtungsmechanismus anerkennt sie zwar die Rolle des Europäischen Gerichtshofes. Wie dieser Mechanismus aber konkret aussehen werde, müsse erst noch verhandelt werden.
Ebenso bei der dynamischen Rechtsübernahme und den bekannten, von der Schweiz geforderten Ausnahmen. So hält Leu daran fest, dass die Schweiz bei der Personenfreizügigkeit Ausnahmen fordere, präzisiert diese aber nicht. Damit erfüllt sie die Erwartungen der EU nicht, weil diese präzise wissen wollte, welche Ausnahmen der Bundesrat konkret wolle.
Absage an Neuverhandlung des Freihandels
Mit ihrem Verweis auf die Verhandlungen signalisiert Leu aber auch hier eine gewisse Offenheit. Und um die EU-Kommission zu beruhigen, schreibt sie, die geforderten Ausnahmen seien begrenzt und von geringerer Bedeutung für das Funktionieren des Binnenmarktes.
Auch andere von der EU-Kommission gestellte Fragen beantwortet die Staatssekretärin nicht. Dazu gehört etwa die Frage, ob auch der Bundesrat der Meinung sei, dass alle betroffenen Abkommen miteinander verbunden seien. Und die Aussage der EU-Kommission, dass sie auch das alte Freihandelsabkommen mit der Schweiz erneuern wolle, weist Leu schlicht zurück. Das sei nicht Teil des vorgeschlagenen Pakets.
Eine Gratwanderung
So ist der Brief also eine diplomatische Gratwanderung. Die EU-Kommission und auch die Schweizer Öffentlichkeit wüssten bei manchen Punkten gerne präziser, wie die Haltung des Bundesrates ist. Trotz Vagheit aber macht es Staatssekretärin Leu mit dem Bekenntnis zu gewissen Prinzipien der EU und mit der Bereitschaft, nun rasch vorwärts zu machen, der Gegenseite schwer, den Faden nicht aufzunehmen.
Der Bundesrat seinerseits wird in der zweiten Juni-Hälfte an einer Klausur über das Thema Europa diskutieren. Vielleicht wird es dann konkreter.