Eines vorweg: Der Brief der EU-Kommission an die Adresse von Staatssekretärin Livia Leu ist für sie keine Überraschung. Die EU-Kommission kündigte beim letzten Treffen einen solchen Brief an.
Nun ist er bei der Staatssekretärin angekommen. Sie sagt dazu: «Das ist ein Teil des Sondierungsprozesses. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man auch etwas Schriftliches schickt, und er ist ja an mich adressiert. Das heisst, es ist ganz klar ein Teil des Austausches, den ich mit dem Kabinettschef von Vize-Kommissionspräsident Maros Sefcovic führe.»
Leu gibt sich betont gelassen, obwohl der Brief im Inhalt klar und deutlich ist. Die EU-Kommission hält an den bekannten Punkten fest.
Sie fordert bei den sogenannten Binnenmarktabkommen – dazu gehören die Personenfreizügigkeit oder auch der Landverkehr –, dass die Schweiz EU-Recht dynamisch übernimmt. Und sie fordert auch einen Streitschlichtungsmechanismus mit prominenter Rolle des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). «Der Bundesrat hat der EU auch klar gesagt, als er seine neuen Vorschläge gemacht hat – nota bene auf explizite Erwartung: Ein Insta 2.0 wird es nicht geben», sagt Leu.
Kein zweites Rahmenabkommen
Ein zweites Rahmenabkommen wird es nicht geben. Trotzdem muss man feststellen, dass die Positionen weit auseinander liegen. «Dass das zu diesem Zeitpunkt noch so ist, finde ich überhaupt nicht überraschend», so die Staatssekretärin. Es zeige einfach: «Es gibt definitiv noch Diskussionsbedarf, und die Sondierungen müssen noch weitergehen.»
Und dafür hat die EU-Kommission dem Bundesrat nun zehn konkrete Fragen gestellt. Zum Beispiel:
- Ist der Bundesrat einverstanden damit, dass die institutionellen Regeln in allen Abkommen identisch sein müssen?
- Beurteilt der Bundesrat die Rolle des Europäischen Gerichtshofes gleich wie die EU-Kommission?
- Wenn nein, welche Rolle sieht der Bundesrat dann für den EuGH?
- Ist der Bundesrat einverstanden damit, dass alle Marktzugangsabkommen miteinander verbunden sind? Welche konkreten Ausnahmen wählt der Bundesrat?
Die EU-Kommission erwartet auf ihre Fragen schriftliche Antworten. Ausgehend davon wolle sie dann entscheiden, ob es sich lohne, mit der Schweiz erneut Verhandlungen über institutionelle Fragen und über weitere Abkommen aufzunehmen. Liefern muss diese Antworten Leu.
Auch hier gibt sie sich betont gelassen: «Ich habe einen Auftrag des Bundesrates und werde den weiterhin ausführen. Sei das mündlich, sei das schriftlich. Das ist eigentlich sekundär. Wichtig ist, dass der Dialog bestehen bleibt.» Die EU-Kommission spricht im Brief zahlreiche politische Fragen an und möchte sich damit vor den eigentlichen Verhandlungen absichern, dass Bern zu Zugeständnissen bereit ist.
Dass man Dokumente austauscht in einem solchen Prozess, ist eine normale Sache. Dass man sie der Presse weitergibt, ist vielleicht etwas enttäuschend, und man fragt sich: Was ist der Zweck einer solchen Übung?
Für Staatssekretärin Livia Leu ist es dazu noch zu früh. Sie argumentiert, man befinde sich noch immer in der Sondierungsphase, auch wenn die Fragen der EU-Kommission sicher eine gewisse Klärung brächten.
Zum Schluss des Interviews sagt sie: «Dass man Dokumente austauscht in einem solchen Prozess, ist eine normale Sache. Dass man sie der Presse weitergibt, ist vielleicht etwas enttäuschend, und man fragt sich: Was ist der Zweck einer solchen Übung?»
Das dürfte die Schweiz sicher etwas unter Druck setzen, sich nun zu positionieren. Der Gewinn für die Öffentlichkeit ist, dass sie nun weiss, wo die Gespräche stehen.