An der traditionsreichen Jesuitenuniversität Ramón Llull in Barcelona sind die Büros der Professoren spartanisch. Ein kleiner Schreibtisch, zwei Stühle, drei, vier Fotos behelfsmässig an die Wand geklebt. Santiago Niño Becerra, Professor für Ökonomie, erhebt sich von einem kleinen Schreibtisch und begrüsst seinen Gast mit den Worten: «Es geht schlecht. Spanien geht es sehr schlecht.»
Das Spielfeld ist abgesteckt. Auf den Einwand, die jüngsten Daten seien doch ermutigend, reagiert Niño Becerra mit einer wegwerfenden Handbewegung. «Das Wachstum, von dem Sie in den Zeitungen lesen, ist eine Fiktion. Das basiert auf Faktoren, die sich schnell ändern können.»
Neue Jobs sind meist nur auf Zeit
Der Tourismus habe weiter zugenommen, weil Ägypten und Tunesien unsichere Länder seien. «Wenn das Geschäft dort wieder läuft, haben wir 5 Millionen Touristen weniger.» Die niedrigen Ölpreise, die tiefen Zinsen, das seien keine Erfolge der spanischen Regierung, sondern konjunkturelle Vorteile, nichts, was bleibt.
Spanien ist hoch überschuldet. «Die Arbeitslosigkeit ist immer noch über 20 Prozent», sagt der Professor, «und die neuen Stellen, von denen die Regierung spricht, sind überwiegend zeitlich limitiert. Selbst einen Festangestellten werden Sie mit dem heutigen Arbeitsrecht schnell wieder los. 20 Tage gearbeitet und raus. Kein Problem.»
Kaum Investitionen möglich
Das ist noch keine dauerhafte Erholung. Und Spanien, sagt Niño Becerra, fehlten die Voraussetzungen, daran schnell etwas zu ändern. Die Wirtschaft sei zu wenig produktiv und liege deutlich hinter andern Ländern der Eurozone zurück.
«Schauen Sie, die Produktivität steigert man mit Investitionen und indem man das Unternehmen besser organisiert. Porsche in Deutschland kann sich teure Berater leisten, um die Produktion zu optimieren. Und das Unternehmen erwirtschaftet genug, um zu investieren. Aber wer spielt in Spanien in der Porsche-Liga? Sehr wenige.» Die meisten spanischen Betriebe haben kein Kapital und Kredite sind zu teuer, also wird nicht investiert.
Rentenreserven reichen noch knapp vier Jahre
Wie sollten unter solchen Umständen Spaniens Steuereinnahmen steigen? Die Löhne sind niedrig, die Wirtschaft schreibt mehrheitlich keine Gewinne. Die Sozialausgaben aber werden (obschon sie gekürzt wurden) hoch bleiben. Und die Pensionen, warnt Niño Becerra, sind gefährdet: «Die Sozialversicherung Spaniens wird dieses Jahr mit einem Defizit von etwa 15 Milliarden Euro abschliessen.»
Die spanischen Pensionen würden weiter bezahlt, weil die Regierung Zapatero eine Schwankungsreserve geschaffen hat. Aus dieser Kasse seien in den letzten vier Jahren etwa 30 Milliarden Euro ausbezahlt worden. «Jetzt reichen die Reserven noch für dreieinhalb oder vier Jahre. Die Regierung, die dann antritt, wird sie leer vorfinden. Und dann: Renten senken, was sonst?»
Santiago Niño Becerra ist nicht der einzige Zweifler. Die EU hält die spanischen Budgetberechnungen 2016 für zu optimistisch – und verlangt neuerliche Einsparungen zwischen 8 und 10 Milliarden Euro. «Auch der Internationale Währungsfonds zweifelt an Spaniens Berechnungen, und im jüngsten Rapport der OECD steht, Spaniens Prognosen hätten keine Grundlage.»
2016, sagt Niño Becerra, wird ein schwieriges Jahr. Ganz generell. Und sicher für Spanien.