«Ich wäre nicht überrascht, wenn es an den Finanzmärkten noch schlimmer kommt», sagt Kenneth Rogoff. Die politische Situation nach dem Brexit-Votum der Briten sei wahnsinnig unsicher, und die Aktienmärkte hassten Unsicherheit. Es könne noch lange dauern, bis die Stabilität zurückkehre: «Denn ein Retter ist derzeit nicht in Sicht», so der Harvard-Ökonom.
In Grossbritannien fühle sich niemand verantwortlich für das Austritts-Votum. Nach dem Rücktritt des britischen Premierministers David Cameron gebe es ein Machtvakuum. Nicht nur die Opposion sei in Unordnung, sondern auch Camerons Konservative.
«Und meine allergrösste Sorge ist», sagt der US-Ökonom, «dass der Brexit zu einer Kettenreaktion führen könnte, es also nicht bei dem einem Austritts-Votum bleibt. Dann nämlich, wenn auch andere EU-Länder auf die Idee kommen, die Würfel rollen zu lassen.»
Domino-Effekt nach dem Brexit?
Politische Opportunisten in der EU (auf dem Kontinent) wie Marine Le Pen in Frankreich könnten versucht sein, die Gunst der Stunde zu nutzen, und die Bevölkerung ihres Landes ebenfalls über einen EU-Abschied abstimmen zu lassen – in der Hoffnung, damit an die Macht zu kommen.
Er versuche zwar, nicht zu übertreiben, sagt Rogoff: «Aber das hier ist eine absolut dramatische Situation.» Und wahrscheinlich erst der Anfang. Rogoff, der es als begabter Schachspieler gewohnt ist, nach vorne zu denken, prophezeit, dass das Austritts-Votum der Briten auch die Weltwirtschaft für viele Jahre belasten wird.
Die Weltwirtschaft wachse derzeit nur noch schwach, und Chinas Wirtschaft habe die besten Zeiten hinter sich, sagt Rogoff: «Da kommt die Unsicherheit über den Brexit zur Unzeit.»
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Möglich ist alles
Eine Frage, die in diesen Tagen oft gestellt wird: Könnte der Brexit der Anfang vom Ende der Europäischen Union sein? «Natürlich könnte es das», sagt Rogoff. Der Euro sei sehr fragil. Er würde nicht sagen, dass es die wahrscheinlichste Möglichkeit sei, aber: «Kaum jemand hat schliesslich mit dem Austritts-Votum der Briten gerechnet.»
Das sei als Protest der Unzufriedenen gegen die herrschenden Eliten zu verstehen. Ähnlich sei auch der grosse Zulauf von Donald Trump in den USA zu erklären: «Wer weiss schon, was passieren wird», sagt Rogoff.
Am allerbesten für alle wäre, wenn die Briten den Brexit nicht wahrmachten, meint der Ökonom schliesslich. Oder die Europäer den letzten Schritt vielleicht doch noch mit einem guten Angebot an die Briten verhindern könnten.