Staffan de Mistura ist Syrienvermittler. Er hat die schlimmsten Kriegsschauplätze dieser Zeit gesehen, war für die UNO in Afghanistan, Irak, Libanon, Ruanda, Somalia, auf dem Balkan, 42 Jahre lang. Doch einen politischen Zynismus wie den, der den Syrienkrieg immer weiter treibe, habe er nie zuvor erlebt.
Natürlich gebe es die Hoffnung auf den Sieg, sagte Staatschef Assad noch letzte Woche. Aber auch die Rebellen geben sich überzeugt, dass sie den Konflikt militärisch für sich entscheiden können.
Gleichgewicht des Schreckens
Tatsächlich kontrolliert das Regime im fünften Kriegsjahr bestenfalls noch einen Drittel des Landes. Seine Streitkräfte sind geschwächt. Assad verlässt sich mehr und mehr auf Milizen. Er mobilisiert sie unter religiösen Minderheiten. Aber, das Regime hält noch immer die bevölkerungsreichen Gebiete im Westen.
Unter den Rebellen sind die stärksten Kräfte sunnitische Hardliner. Angeführt von Al Kaida. Sie haben vor allem im Norden Terrain gutgemacht. In einem Konflikt, der immer stärker befeuert wird durch konfessionellen Hass.
Die Erfolge des IS verkomplizieren die Lage zusätzlich. Er hat weite Landstriche vom Euphrat bis tief in die syrische Wüste an sich gerissen. Und es gelingen ihm regelmässig Vorstösse ins Kernland. Vor die Tore Aleppos. Oder in die südlichen Vorstädte von Damaskus.
Im Norden des Landes haben sich kurdische Milizen verselbstständigt. Der Konflikt ist unübersichtlich, hat viele Fronten. Trotz aller Rückschläge, der Syrienvermittler will nicht aufgeben. hat eben neue Vorschläge unterbreitet.
Frieden für Syrien – ein frommer Wunsch?
De Mistura glaubt eine gewisse Kriegsmüdigkeit, sogar die Chance für neue diplomatische Bewegung zu erkennen. Es gibt Spekulationen, dass im Syriendossier ein neuer Anlauf möglich würde, jetzt wo das Nuklearabkommen zwischen den Grossmächten und Assads wichtigstem Verbündeten Iran unterschrieben sei. Ein Strohhalm.
Denn die Opposition verlangt als Vorbedingung für alles weitere, dass Präsident Assad und seine Schergen abtreten. Das Regime wiederum bezeichnet alle Rebellen unterschiedslos als Terroristen. Bis jetzt beharren beide Seiten auf ihrer alten, unvereinbaren Position. Die Dschihadisten sind ohnehin zu keinem politischen Kompromiss bereit.
Während Millionen fliehen, aus Angst vor dem Extremismus in den Rebellengebieten. Aus Angst vor den Bomben, die das Regime dort abwirft. Oder aus schierer Hoffnungslosigkeit.
Wer flieht nun aus Syrien?
Das sind Menschen, die noch aus Syrien fliehen, weil sie die Hoffnung aufgegeben haben, dass sich irgendetwas bessert. Sie haben jahrelang durchgehalten und nun sind auch sie zum Schluss gekommen, dass ihre Kinder keine Zukunft haben in diesem Land. Es fliehen jetzt aber auch viele Syrer aus den Nachbarländern. Sie sind vorher in die Türkei, in den Libanon, nach Jordanien geflohen. Dort haben sich die Lebensbedingungen sehr verschlechtert. Ihre Aufenthaltsbewilligung wird nicht verlängert, sie bekommen keine Arbeitserlaubnisse. Dort sind die Bedingungen so schlecht, dass die Menschen nach Europa kommen wollen.
Wie schwierig ist es, jetzt aus Syrien zu fliehen?
Die Grenzen zu den Nachbarländern sind eigentlich dicht. Sowohl die Türkei als auch der Libanon als auch mit Einschränkung Jordanien haben die Grenzen geschlossen. Die Grenze zum Irak wird in weiten Teilen von IS kontrolliert. Das heisst, wer irgendwie von Syrien nach Europa gelangen will, muss illegal irgendwie in die Türkei kommen und von dort das Schiff nehmen nach Griechenland, über die Balkanroute nach Europa kommen, aber es ist sehr schwierig und sehr gefährlich.
Wie leben die Menschen, die noch in Syrien sind?
Syrien ist faktisch in vier Teile zerfallen. Wie es den noch verbleibenden Menschen im Land geht, hängt davon ab, in welchem Teil sie leben. In dem vom Assad-Regime kontrollierten Gebiet und in dem von den Kurden kontrollierten Gebiet können sich die Menschen einigermassen über Wasser halten. Sie leben mit den Einschränkungen des Krieges, aber nicht unter ständiger Lebensgefahr. In den von den Rebellen kontrollierten Gebieten geht es den Menschen schrecklich. Sie stehen unter Dauerbeschuss vom Assad-Regime, Fassbomben werden auf sie abgeworfen, die Leute werden ausgehungert. Wer dort ausharrt, hat wirklich keine Möglichkeit zur Flucht. Das sind die Ärmsten der Armen. In den vom IS kontrollierten Gebieten ziehen die Menschen den Kopf ein, halten sich an die islamistischen Regeln und verhalten sich still. Dafür sind sie einigermassen versorgt und mit Ausnahme der Bombardements der von den USA ausgeführten Allianz sind sie einigermassen sicher.
Gibt es noch Schulen und eine Infrastruktur in Syrien?
In den Assad-kontrollierten Gebieten ist die Lage einigermassen stabil. Sie haben viele Checkpoints und werden überwacht durch die Geheimdienste. Aber es wächst Unmut, weil sie sagen, sie wollen ihre Söhne nicht mehr länger für Assads Machterhalt opfern. In den Kurdengebieten existiert geregelter Schulunterricht und eine funktionierende Infrastruktur. In den Rebellengebieten sind die Zustände katastrophal, die Menschen haben kaum Strom, sie werden ausgehungert. Unter IS-Kontrolle hält man sich an die Regeln, die der IS von einem verlangt. Man versucht einfach, über die Runden zu kommen.
Die Angaben stammen aus einem Gespräch mit der Journalistin Kirstin Helberg. Sie hat jahrelang in Syrien gelebt.