In Tunesien wird dieses Wochenende ein neues Parlament gewählt. 5,2 Millionen Tunesierinnen und Tunesier sind aufgerufen, 217 Abgeordnete in 33 Wahlkreisen zu bestimmen. Auch die 300‘000 Stimmberechtigten in der Diaspora wählen – in Europa, Kanada oder den USA.
Was dort geschieht, wird die Zusammensetzung des neuen Parlaments beeinflussen. Entsprechend aufmerksam verfolgen die Wahlbeobachter in Tunesien, unter welchen Bedingungen in der Diaspora gewählt wird. Auch weil sie daraus Schlüsse über Freiheit und Transparenz der Wahlen im ganzen Land ziehen.
In der Diaspora werden Missstände sichtbar
Einer dieser Wahlbeobachter ist Moez Bouraoui. Er beschäftigt sich schon seit Jahren mit den Voraussetzungen, die es für faire und freie Wahlen braucht. Was er in der Diaspora beobachtet hat, missfällt ihm darum sehr. Das beginnt schon bei der personellen Zusammensetzung der Wahlbüros.
«Im zweiten Wahlkreis von Frankreich beispielsweise, hat eine einzelne Partei das Ruder übernommen. Ähnlich, wie in anderen europäischen Ländern oder den USA. Die politische Unabhängigkeit der regionalen Wahlkommission ist deshalb oft nicht mehr garantiert», sagt Bouraoui. Er fügt an: «Die Nationale Wahlkommission in Tunis hat aber kaum auf diese Missstände reagiert – obwohl das Gesetz für solche Verstösse gar Gefängnis oder Bussen vorsieht.»
Politische Predigten in der Moschee
Ähnliche schwere Verletzungen des Wahlgesetzes hat Beobachter Bouraoui auch in Tunesien selber festgestellt. So hätten einige Parteien ihre Veranstaltungen in Schulhäusern oder in Moscheen abgehalten, obwohl das vom Gesetz ausdrücklich verboten werde.
«Die Wahlbehörde hat solche Verstösse meistens hingenommen. Sie hat sogar Kandidaten akzeptiert, die als Geistliche ihre eigene Moschee für politische Predigten missbraucht haben. Auch das ist vom Gesetz ebenfalls verboten», erzählt der Wahlbeobachter.
Unermüdlich den Finger auf wunde Punkte legen
Moez Bouraoui trägt seine Vorwürfe im Eiltempo vor – und immer wieder präsentiert er Fotos und Dokumente als Beweisstücke.
In den tunesischen Medien wird seine Kritik aufgenommen, denn Moez Bouraoui gilt als Fachmann für die Voraussetzungen freier und fairer Wahlen. Knapp zwei Monate nach der Revolution hat er Atide gegründet. Eine Organisation, die nicht nur beobachten will, was am Wahltag geschieht.
Bereits bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung vor drei Jahren haben Bouraoui und seine Organisation Erfahrungen gesammelt. Während den Arbeiten an Verfassung und Wahlgesetz haben sie bei den Abgeordneten unermüdlich für mehr Transparenz lobbyiert.
Darum beobachten die Aktivisten von Atide genau, wie diese Gesetze angewendet werden. Und legen die Finger auf wunde Punkte. Denn die demokratischen Errungenschaften der Revolution wollen sie sich nicht wieder nehmen lassen.