Der Konflikt im Osten der Ukraine dauert bereits ein Jahr an. Für den ukrainischen Präsidenten ist klar, dass er die abtrünnigen Gebiete zurück haben will, ob durch Verhandlungen oder mit Gewalt. Die Separatisten in den Regionen Donezk und Lugansk denken aber nicht daran, sich der Zentralregierung in Kiew zu fügen. Die Auseinandersetzung forderte mittlerweile mehr als 6000 Todesopfer – und verwandelt sich gerade in einen sogenannten eingefrorenen Konflikt.
Diese Situation nützt vor allem einem: dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Nikolai Petrow, Professor an der Hochschule für Wirtschaft in Moskau, sieht die wichtigsten Ziele Putins erfüllt. Der Präsident habe vor einem Jahr eine «Sperrminorität» in der Ukraine erhalten oder zumindest einen Konflikt schaffen wollen, um unliebsame Entscheidungen wie einen Nato-Beitritt der Ukraine verhindern zu können, sagt Petrow. Dies habe er im Wesentlichen geschafft.
Annäherung an Westen kaum vorstellbar
Tatsächlich ist ein Nato-Beitritt oder eine weitere Annäherung Kiews an die EU kaum vorstellbar, solange der Konflikt mit den prorussischen Separatisten im Donbass weiter schwelt.
Zwar hat der russische Präsident die im Zuge des Ukraine-Konflikts gegen sein Land verhängten schmerzhaften Sanktionen des Westens nicht abwenden können, doch ist seine Taktik gegenüber der proeuropäischen Regierung in Kiew seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland weitgehend aufgegangen.
«Die Krim wurde ohne einen Schuss an Russland angeschlossen, und die Popularität Putins ist in schwindelerregende Höhen geschossen», sagt Dmitri Trenin vom Carnegie Center in Moskau.
Sanktionen statt Waffen
Putin ist mit der verdeckten Unterstützung der Rebellen vor einem Jahr ein nicht unerhebliches Risiko eingegangen. Doch letztlich ist seine Rechnung aufgegangen, dass der Westen sich auf Sanktionen beschränken und nicht selbst militärisch eingreifen würde. «Putin kontrolliert die Lage in der Ukraine mit Hilfe der Separatisten», erklärt denn auch der kremlkritische Politologe Dmitrij Oreschkin. «Geschickt gemacht, weil er sich so nicht offiziell in den Konflikt einmischen muss.»
Zwar hört Washington nicht auf, den Russen die militärische Unterstützung der Separatisten vorzuwerfen, doch schreckte die US-Regierung aus Angst vor einer weiteren Eskalation des Konflikts davor zurück, selbst Waffen oder gar eigene Truppen in den Donbass zu schicken.
Auch haben die USA und die EU zwar eine Reihe durchaus schmerzhafter Sanktionen gegen die Kernbereiche der russischen Wirtschaft verhängt, doch sind sie nicht so weit gegangen, Russland vom Zahlungssystem Swift auszuschliessen. «Die Sanktionen haben letztlich sogar Putin geholfen, die russische Bevölkerung im Widerstand gegen den Druck von aussen zu einen», sagt Trenin.
Zudem scheint die Wirtschaft nach einem schwarzen Jahr das Schlimmste überwunden zu haben, und der Rubel gewinnt nach einem schweren Einbruch wieder an Wert.
Langfristige Strategie nicht zu erkennen
Finanzminister Anton Siluanow schätzt daher, dass der Tiefpunkt überwunden sei, während Wirtschaftsminister Alexej Uliukajew «bedeutende Anzeichen einer Stabilisierung» ausmacht. In der Ukraine sieht die Lage dagegen weder für die Regierung noch für die Separatisten rosig aus: Der Konflikt im Osten hat die Wirtschaft des Landes einbrechen lassen und die Staatsfinanzen arg strapaziert.
Ohne internationale Finanzhilfen droht Kiew der Bankrott. In den Rebellengebieten liegt die Wirtschaft ebenfalls am Boden und den Separatisten geht das Geld aus.
So erfolgreich Putin letztlich war, so will der russische Politikexperte Konstantin Kalatschew doch keine langfristige Strategie erkennen. Als der russische Präsident sich in den Konflikt in der Ukraine stürzte, habe er vorwiegend nach der Maxime Napoleons agiert: «Erst handeln, dann wird man sehen», sagt Kalatschew.
Für die Zukunft sieht Carnegie-Experte Trenin eine klare Linie voraus: «Moskau wird weiter die weltweite Hegemonie der USA herausfordern und gemäss den eigenen Interessen handeln, geleitet von den eigenen Werten – und nicht nach der Anerkennung der USA oder der EU suchen.»