Drei Wochen nach Beginn der Dschihadisten-Offensive im Irak sind weiterhin schwere Kämpfe zwischen den sunnitischen Isis-Milizen und der irakischen Armee im Gang. Vor diesem Hintergrund soll am Dienstag erstmals das neu gewählte Parlament zusammentreten und eine neue Regierung hervorbringen. Wird damit das baldige Aus für Ministerpräsident Nuri al-Maliki absehbar?
Der irakische Verfassungsrechtler und Politkommentator Abdul Hussein Shaban warnt vor vorschnellen Schlüssen. So sei fraglich, ob die schiitische Schutzmacht Iran ihren Mann in Bagdad wirklich aufgeben werde. Ebenso fraglich sei, ob Maliki tatsächlich kampflos abtreten werde.
«Unter Schwachen noch immer der Stärkste»
Malikis Tentakeln reichen nach den Worten von Shaban tief in den Staatsapparat hinein. Er habe die Zeit genutzt, seit ihn Washington und Teheran vor acht Jahren in einer bemerkenswerten Interessen-Koalition auf den Schild gehoben hätten: Maliki habe als Premier Abhängigkeiten geschaffen. Nach dem Wahlsieg seiner Partei habe Maliki aber auch rein nummerische Argumente auf seiner Seite. «Unter all den Schwachen ist Maliki noch immer der Stärkste», bilanziert Shaban.
Die Lage sei trotzdem sehr verworren, stellt Shaban zum Machtkampf innerhalb des Landes fest. Dieser werde von einem komplexen regionalen und internationalen strategischen Powerplay überlagert, ähnlich jenem, das auch im benachbarten Syrien ausgetragen wird: In einer Gegend, wo sich die Einflusssphären der schiitischen und sunnitischen Regionalmächte überschneiden. Wo Iran gegen Saudiarabien und die Türkei um Vormacht kämpfen. Und wo auch die USA und Russland mitmischen.
Isis als Druckmittel
Bis jetzt konzentriert sich die Gewalt im Irak auf die sunnitischen Provinzen, wo sich viele vom Schiiten Maliki übergangen fühlen und wo einflussreiche Politiker und Stammesführer den religiösen Fanatikern das Feld überlassen. «Und das tun sie ganz bewusst, im Glauben, die Blutspur der Dschihadisten von Isis bringe Teheran soweit, Maliki fallenzulassen», sagt Shaban.
Der Premierminister wiederum antwortet mit Kampfhelikoptern und mobilisiert die berüchtigten schiitischen Milizen. Gleichzeitig ruft er nach Iranern und Amerikanern und schürt seinerseits die religiösen Spannungen.
Der andere Irak
Shaban, der aus einer angesehenen schiitischen Familie stammt, erinnert zugleich an eine andere Seite des Iraks. Ein Land, wo es Mischehen und Freundschaften über die Religionsgrenzen hinweg gebe. Trotz des jahrelangen Bürgerkriegs unter amerikanischer Besatzung existierten noch immer ein paar konfessionell gemischte Gegenden. Viele träumten von einer irakischen Identität, die die Religionszugehörigkeit übersteigt.
Den Irak endgültig in seine konfessionellen Bestandteile aufzuteilen, ist laut Shaban deshalb nur um den Preis eines neuerlichen Blutbades zu haben. Die Vorboten dieses Bürgerkriegs seien bereits erkennbar. Ob es tatsächlich zum Äussersten kommt, lässt der Kommentator vorerst offen.
Shaban: Maliki hat den politischen Willen
Shaban kennt den gemässigten Islamisten Maliki von langen gemeinsamen Jahren im Ausland, als sie Verfolgte von Saddam Hussein waren. Er sieht ihn als Exilpolitiker, der kaum politisches Rüstzeug fürs Amt des Premiers mitbrachte.
Maliki habe aber den politischen Willen, betont Shaban. Und als Premier könne er Ämter und Privilegien verteilen. Maliki bleibe fest davon überzeugt, einmal mehr auch einen Teil der Sunniten wieder auf seine Seite ziehen zu können.
Tatsächlich unterstützen nicht alle Sunniten das halsbrecherische Bündnis mit den Extremisten, unter dem die sunnitische Bevölkerung selbst am stärksten leidet. Hunderttausende sind geflohen, seit die Dschihadisten mit Waffengewalt ihren Traum vom mittelalterlichen Kalifat wahrmachen wollen.
Maliki sieht Politik nur als Kraftprobe
Das böte gemäss Shaban eine Chance für einen Dialog unter den gemässigten Kräften. Allerdings habe Maliki habe keinerlei Sinn für die Feinheiten der Strategien und Bündnisse, sondern sehe Politik nur als Kraftprobe. Damit ist er auch eine Hypothek für die Regionalmächte. Es zirkulieren denn durchaus die Namen von alternativen Kandidaten, allerdings keiner vom politischen Gewicht Malikis.
Eine grosse Koalition mit seinen hauptsächlichen sunnitischen Herausforderern hat Maliki bereits ausgeschlossen. Was also kann die Parlamentseröffnung da bringen? «Sicher ist nur, dass der Irak am Scheideweg steht. Wenn nicht in den nächsten Wochen ein politischer Kompromiss gefunden wird, ist der Zerfall des Landes kaum abzuwenden», schliesst Shaban.