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Griechenland Flüchtlingslager auf Samos: «Es ist ein umstrittenes Konzept»

Vor einem Jahr wurde auf der griechischen Insel Samos ein neues Lager für Flüchtlinge eröffnet. Das Areal ist abgelegen und Zutritt ist nur durch Sicherheitskontrollen möglich. Heute leben dort 1200 Personen. Rodothea Seralidou hat dieses Flüchtlingslager besucht.

Rodothea Seralidou

Freie Journalistin

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Die Journalistin berichtet seit 2011 für SRF und ARD aus Griechenland. Sie lebt in Athen.

SRF News: Welchen Eindruck hatten Sie von diesem Lager?

Rodothea Seralidou: Ich war kurz nach der Eröffnung im Oktober letzten Jahres schon einmal in diesem Lager. Jetzt ist alles organisierter und auch die Leute scheinen sich an das Leben dort gewöhnt zu haben, zumindest die, die mit mir gesprochen haben.

Jetzt gibt es nicht nur Wohncontainer mit Strom, Klimaanlage und warmem Wasser, sondern auch viele Freizeit- und Bildungsangebote für die Geflüchteten.

Was hat sich am meisten verbessert?

Jetzt gibt es nicht nur Wohncontainer mit Strom, Klimaanlage und warmem Wasser, sondern es gibt auch viele Freizeit- und Bildungsangebote für die Geflüchteten dort. Aktuell sind das überwiegend alleinreisende Männer aus Palästina, aber auch aus Afrika, die meisten aus Eritrea, Sierra Leone und dem Sudan. Aber es gibt auch Frauen und Kinder. Für alle, die es interessiert, gibt es Englischkurse, Griechischunterricht, Computerkurse und Musikunterricht.

Wie kommt das? Der griechische Staat ist nicht für seine Grosszügigkeit gegenüber Flüchtlingen bekannt.

Hilfsorganisationen spielen eine wichtige Rolle. All diese Beispiele, die ich gerade genannt habe, haben die Geflüchteten im Camp diesen Organisationen zu verdanken. Auf Samos sind das vor allem Movement on the Ground und Eurorelief.

Sogar das Verwaltungspersonal im Camp auf Samos ist knapp.

Das heisst: Der griechische Staat überlässt quasi den Organisationen Bereiche, für die er verantwortlich wäre. Aber sogar das Verwaltungspersonal im Camp auf Samos ist knapp. Ich befürchte, dass es ohne die NGOs keine Bildungs- und Freizeitangebote geben würde, vor allem für Erwachsene. Anders ist die Situation für die Kinder im Camp. Für sie gibt es im Lager einen staatlichen Kindergarten für Kinder im Vorschulalter. Es gibt mehrere Spielplätze. Schulkinder besuchen die öffentlichen Schulen ausserhalb des Camps.

Eine Containersiedlung von oben
Legende: So sah das Lager vor der Eröffnung aus. REUTERS/Alkis Konstantinidis

Es gibt noch weitere Kritik am Lager. Was läuft nicht optimal?

Die Kritik richtet sich vor allem gegen das Konzept des Lagers an sich. Um hineinzukommen, muss man durch einen Metalldetektor, wie am Flughafen. Es gibt überall Sicherheitspersonal und Polizei. Viele Geflüchtete, mit denen ich gesprochen habe, empfinden das als übertrieben und sagen, sie hätten das Gefühl, sie seien in einem Gefängnis. Andere sagen aber auch, sie würden sich so sicherer fühlen, da niemand etwa Waffen oder Messer ins Camp bringen kann.

Das grösste Problem ist, dass zurzeit kein staatlicher Arzt im Camp praktiziert.

Gewaltsame Auseinandersetzungen, wie im alten Camp, wo es eben kein Sicherheitspersonal gab, existieren nicht. Das grösste Problem aber ist, dass zurzeit kein staatlicher Arzt im Camp praktiziert. Es gibt Arztpraxen, sogar eine nigelnagelneue Klinik mit Intensivstation ist da. Aber sie bleibt zu, weil kein ärztliches Personal die Patienten betreuen könnte. Bis zu einer diesbezüglichen Lösung helfen die Ärzte ohne Grenzen aus. Sie sind dreimal in der Woche im Camp.

Ist das Lager auf Samos zu einem Vorbild geworden? Auf Kos und auf Leros stehen auch solche Camps.

Ja, die griechische Regierung preist das Lager schon seit der Eröffnung vor einem Jahr als vorbildlich an. Auch auf Lesbos und Chios sollen kommendes Jahr solche Lager aufmachen. Es ist und bleibt aber ein umstrittenes Konzept. Die Menschen müssen zwar nicht mehr im Zelt leben, aber sie leben auch nicht unter normalen Bedingungen in einer Wohnung.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

SRF 4 News, 23.22.2022, 07:45 Uhr ; 

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