2015 wurden so viele Menschen exekutiert, wie seit 25 Jahren nicht mehr. Trauriger Spitzenreiter dürfte China sein, obwohl von dort keine offiziellen Zahlen vorliegen.
SRF News: Worauf stützt Amnesty International die Schätzungen der Hinrichtungszahlen in China?
Patrick Walder: Wir haben verschiedene Quellen wie Familienangehörige, Anwälte und die Medien. Deshalb können wir mit sehr grosser Sicherheit sagen, dass es letztes Jahr tausende von Hinrichtungen in China gab – und auch tausende von neuen Verurteilungen. Das ist mehr als im Rest der Welt zusammen. Aber China betrachtet die Todesstrafe als Staatsgeheimnis. Es gibt keine offiziellen Informationen dazu. Es ist sehr schwierig, an exakte Zahlen zu kommen. Deshalb veröffentlichen wir seit einigen Jahren diese Schätzungen.
Es gibt ja vermutlich auch in China eine Bewegung gegen die Todesstrafe. Bewirkt die nichts?
Es gibt durchaus auch Positives aus China zu berichten. Es gab einige Reformbemühungen auf Justizebene. Die Anzahl der Delikte, auf die die Todesstrafe steht, ist eingeschränkt worden. Aber es gibt davon immer noch 46. Darunter fallen auch eher harmlose Verbrechen, wie Korruption.
Die Androhung von Todesstrafen ist keine Abschreckung für Selbstmordattentäter.
Iran, Pakistan und Saudi-Arabien stehen gemäss der Hinrichtungsstatistik an der Spitze. Sie haben letztes Jahr wieder deutlich mehr Menschen hingerichtet als in den Vorjahren. Was sind die Gründe dafür?
Für die Gründe können wir keine Beweise liefern. Aber es ist eigentlich klar, dass Pakistan die Todesstrafe im Kampf gegen den Terror einsetzt. Wir sehen das als populistische Massnahme, um zu zeigen, dass man etwas macht. Man versucht, Ruhe und Ordnung im Land herzustellen. Das funktioniert aber mit der Todesstrafe nicht. Man macht damit nur neue Märtyrer. Die Androhung der Todesstrafe ist auch keine Abschreckung für Terroristen, die Selbstmordanschläge planen.
In Saudi-Arabien und im Iran ist die Todesstrafe sicher auch eine Waffe der Repression, um die Bevölkerung und die Opposition einzuschüchtern. In Saudi-Arabien wurden viele Schiiten hingerichtet, die Teil der religiösen Minderheit sind. Es geht also weniger um Ruhe und Ordnung als um Einschüchterung.
In Ihrer Statistik gibt es aber auch Positives zu vermelden. Es gibt Länder, die künftig auf die Todesstrafe verzichten wollen wie die Republik Kongo, Madagaskar, Surinam und die Fidschi-Inseln. Was hat diese Länder zum Umdenken bewegt?
Ich glaube, es ist die Einsicht, dass die Todesstrafe nicht mehr zu unserer Gesellschaft passt, ungerecht und grausam ist und mit moderner Justiz nichts zu tun hat. Es gibt seit Jahren einen weltweiten Trend zur Abschaffung der Todesstrafe. Insgesamt sind es 140 Staaten, die sie im Gesetz gestrichen haben oder nicht mehr anwenden.
Es gibt seit Jahren immer weniger Staaten, welche die Todesstrafe vollziehen.
Was stellen Sie für eine Prognose – wie wird die Statistik für 2016 aussehen?
Es wird wieder positive wie negative Nachrichten geben. Ich denke, dass sich der Trend zur Abschaffung der Todesstrafe fortsetzen wird. Wir wissen schon heute, dass es einzelne Länder gibt, die Gesetze zu ihrer Abschaffung vorbereitet haben. Aber auf der anderen Seite gibt es auch etwa 25 Hardliner-Staaten die an der Todesstrafe festhalten und vermutlich sogar noch mehr Leute hinrichten werden.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.